StarkVital Nr 37
Inter view
On-Line Betrug SELBER SCHULD! Jean-Pierre Schupp im Gespräch mit Ruth Van de Gaer Sturzenegger
JPS: Ruth, ich nehme an, dass nach dem du ein Buch über deine Geschichte mit dem Titel «NICHTS GEGEN EINE MILLION» geschrieben hast, in vielen Medien (Kassensturz, Blick) zu sehen warst und viel über dich zu lesen war, denkt sich doch mancher: SELBER SCHULD, mir würde so etwas nie passieren. Ich nehme an, dass dir dieses SELBER SCHULD immer wieder an den Kopf geworfen wird, oder? RVG: Ja tatsächlich höre ich die sen Satz ab und zu mal wieder, aber leider nur auf Umwegen, da man sich anscheinend nicht traut, mir das direkt ins Gesicht zu sagen, was ich sehr bedaure. Denn auf diese Weise kann kein Dialog stattfinden und auch kein gegenseitiges Verständnis entstehen. Und ja es stimmt: man hat eine Eigen verantwortung für seine Handlungen
det man sich in einer ausserordentlichen Situation, die einen anfällig macht, auf Angebote einzugehen, die man sonst ignorieren würde. Diese Angebote sind so ausgerichtet, dass sie nicht hohe Renditen versprechen, sondern auf Erfahrungsberichten von Nutzern basie ren, die bereits Gewinne ausbezahlt bekommen haben. Betrüger nutzen genau diese Spezialsituation aus und überlisten damit das rationale Denken der Opfer. Die Verbrecher sind Meister der Manipulation und verfügen über neuste technische Skills. Sie wissen auf den Punkt genau, welche Knöpfe sie in welchen Situationen drücken müssen. Falls jetzt jemand glaubt, dass ihm/ihr sowas niemals passieren könnte, hof fen wir, dass sie Recht behalten, warnen aber trotzdem davor, dass sie sich nicht zu sicher fühlen sollten und dadurch unachtsam werden. Alle Geschädigten berichten im Nachhinein, dass sie wie
und muss für die Konsequenzen geradestehen – seien diese positiv oder negativ. Als ich mich 2022 dazu entschied, in das Angebot der sogenannten Online-Tradingfirma zu inves tieren, befand ich mich in einer besonderen Situation. Mein Umatz bei meinem Fitnessunternehmen war wegen Covid 19 massiv eingebrochen und ich hatte Existenzängste. Mir war klar, dass mein bestehendes Vermögen nicht bis ans Lebensende ausreichen würde und sah diese Möglichkeit der Investition als Chance, mein Konto aufzubessern und Reserven für die Zukunft zu bilden sowie meine Familie abzu sichern. Das Angebot, das mir unterbreitet wurde, erschien mir seriös, da ich dem vermeintlichen Tradingunternehmen alle notwendigen Dokumente wie z.B. die Passkopie und eine Rechnungskopie, auf der meine Adresse aufgeführt war, zur Prüfung einreichen musste. Meine Testinvestition von 250 Franken brachte schon nach kurzer Zeit einen schönen Gewinn ein. Die Entwicklung meiner Investitionen, die ich danach tätigte, konnte ich über meine persönliche Trading Plattform, welche sich im nachhinein als Fake herausstellte, Schritt für Schritt und in Echtzeit verfolgen und fühlte mich dadurch sicher und gut aufgehoben. Mit meinem sogenann ten «Senior Broker», der mir als «Berater» zur Seite stand, stand ich in täglichem Kontakt. Er berichtete über das Tages geschehen wie z.B. den Ukrainekrieg und überzeugte mich, dass die Zeit in dieser Krise richtig sei, um in Commodities wie Brent Öl zu investieren. JPS: Ich glaube, es liegt in der Art und Weise wie der Mensch denkt. Tief in ihm sitzt die Habgier wie auch der Erfolgsdruck. Durch den Einfluss der Medien, überall schnell Geld verdie nen zu können, so nach dem Motto alle werden reich, nur ich nicht, wird die angeborene Vorsicht, das Bauchgefühl: «Achtung, da stimmt doch etwas nicht?» ausgeschaltet. Was sagst du dazu? RVG: I n der Tat sind es die psychologischen Faktoren, die Menschen offen für Betrügereien machen. Meistens befin
«ferngesteuert» und «hypnotisiert» waren. JPS: Gut, ich gebe dir Recht, die Betrüger sind heute raffi niert und wie du es auch in deinem empfehlenswerten Buch schreibst, war die online Trading-Plattform so professionell aufgebaut, dass sogar Banker darauf hereinfallen könnten. Sind wir ehrlich, wer kennt nicht in seinem Bekanntenkreis eine Person, die irgendwann und irgendwie einmal über den Tisch gezogen wurde? Hat die Gesellschaft, hat das Indivi duum hier überhaupt noch eine Chance – gegen Betrugs arten von Enkeltrick bis zur professionellen Trading-Abzocke – als Bürger? RVG: Die steigenden Zahlen der Scam-Opfer zeigen, dass auch die Schweiz mit verschiedensten Betrugsmaschen über rollt wurde und immer noch wird und die Justiz nicht nach kommt. Wie gesagt, die Betrügerbanden sind hochprofes sionell organisiert, kennen keine Datenschutz Hürden, sind international bestens vernetzt und passen sich blitzschnell den Gegebenheiten an. Sie kennen die Abläufe der offiziellen Behörden und Banken und wissen, dass sie ihnen um Längen voraus sind und dadurch einfaches Spiel haben. Die Behör den müssen dieser Tatsache ins Auge sehen und endlich mit neuen Gesetzgebungen und grenzübergreifenden Massnah men aktiv werden. Die Gesellschaft ihrerseits muss auch end lich verstehen, dass man nur gemeinsam im Dialog und ohne gegenseitige Bewertung und Verurteilung gegen den Betrug vorgehen kann. JPS: Du hast mit deiner Geschäftspartnerin und Co-Autorin des Buches, Ayda Ergez, die Plattform « THE BRIGHT YOU » www.thebrightyou.com ins Leben gerufen, um Geschä digte und Angehörige mit Informationen, Aufklärung und Prä ventionsmassnahmen zu unterstützen, die Gesellschaft zu sensibilisieren und vor den betrügerischen Machenschaf ten zu warnen. Aber Ruth, wenn ihr gemeinnützig tätig seid, wovon lebt ihr, wie könnt ihr euch und eure Plattform www. thebrightyou.com finanzieren?
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STARKVITAL 60+ Nr. 37
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