Stark Vital Nr. 20

Repor tage

EINBILDUNG IST AUCH EINE BILDUNG Das Redaktionsteam von StarkVital60+ hat sich bei einigen Institutionen in Sachen PERSONAL TRAINING für die ältere Generation «schlau» gemacht, war vom Resultat komplett enttäuscht und bat die Expertin für «Alters-Training», Sylvia Gattiker darüber einen Bericht zu schreiben:

Leider ist die Einbildung so gross, dass man der Ansicht ist, man hat genügend Ausbildung im Bereich Training und Prä vention für die ältere Generation. Ja und nein. Ja, da die Mus kulatur in jedem Alter trainierbar ist und somit die Gesetze und Methodik des Muskeltrainings anwendbar sind – sofern man diese beherrscht. Nein , da es doch Dinge gibt, die man beachten muss. Die Ausbildung und Weiterbildung diesbezüglich ist lächerlich oder gar nicht vorhanden. Auf Nachfrage bei verschiedenen Institutionen, erhielt man nur die Antwort, dass es nicht lukrativ genug ist, die Nachfrage nicht gross genug und man ja gute Ausbildungen anbietet. Provokativ gesagt, mit „gesunden Alten“ verdient man kein Geld . Die „kranken Alten“ lange am Leben halten, da können Institutionen und Pharma verdie nen. Arme Menschheit, wo der Mensch nichts mehr zählt. Unser Gesundheitswesen unterliegt Veränderungen und dadurch bekommt der Begriff Gesundheitsförderung mehr an Bedeutung, sofern man diesen versteht. Die folgenden drei Punkte sind Veränderung des Gesundheitswesens: 1. Die veränderten Lebensbedingungen und Lebensweisen der Menschen führten zu einem Wandel in den Krank heiten - vermehrt chronische Erkrankungen gegenüber Infektionskrankheiten (Chronische Entzündungen und degenerative Krankheiten) 2. Ein verändertes Verständnis von Gesundheit und dass Gesundheit nicht nur mit medizinischer Versorgung her gestellt werden kann (Ernährung und Bewegung, vor allem Muskeltraining ) 3. Die Erkenntnis, dass Gesundheitsvorsorge und Präven tion Kosten reduzieren können und weniger kostspielig sind. Eigenverantwortung und Empowerment ( Mündigkeit ) ver langt die Mitwirkung und Mitverantwortung jedes Einzelnen, da es den Menschen ein höheres Mass an Selbstbestim mung über ihre Gesundheit ermöglichen soll. Wichtig dabei ist jedoch, dass Kompetenz, eine Basis von Bildung, die Erkennt nis des Ernstes der Lage und der Wille auch wirklich etwas verändern zu wollen, vorhanden ist. Warum ich mir anmasse darüber zu schreiben, dass die Aus bildung in diesen Bereich lächerlich und nicht ausreichend ist und ganz einfach übergangen wird – hier eine kleine Geschichte: „Nichts als Stille um mich, ich stehe in meiner Startreihe, fixiere mit den Augen meine Startblöcke und das 200 Meter Oval vor mir. Jeder kleinste Muskel in mir ist ange

spannt und mein Herz klopft. Dann die magischen Worte – «On your marks». Ich positioniere mich in den Startblö cken und mein Adrenalinspiegel steigt. Ich bin 95 Jahre alt (2014) und laufe das erste Mal in einem Indoor-Leicht athletikstadion. Neben mir die Läufer mit Spikeschuhen und tollen Outfits. Ich bin ein Amateur, laufe in einem Paar alten, bequemen Sportschuhen, aber ich habe den Ehrgeiz zu gewinnen!“

Das waren die Gedanken von Dr. Charles Eugster (1919-2017) vor seinem Traumlauf über 200 Meter Indoor. Mit diesem Lauf brach er den alten Weltrekord und setzte eine neue Marke, die bis heute Gültigkeit hat. Charles Eugster lernte ich im Alter von 89 Jahren kennen. Er wollte an einen Fitnesswettkampf teil nehmen und kontaktierte mich. Seine körperliche Verfassung war jedoch eine Katastrophe. Auf Grund falschen Trainings und übertriebenen Ehrgeiz hatte er einen Abriss der Bizeps sehne, ungelenkige und entzündete Schultergelenke und eine Wirbelsäule, die einer Maschinengewehrsalve Konkurrenz machen konnte. Er vertraute mir, begab sich in meine Hände und unter mein Coaching. Daraus entstanden neun wunderbare, erfolgreiche und lehrreiche Jahre für uns Beide. Er verbesserte sich phy sisch, psychisch, seinen Geist und das Reaktionsvermögen. Mit 97 Jahren begannen wir noch mit dem Weitsprung, der ihm einen weiteren Weltmeistertitel und den britischen Rekord brachte. Ich hatte somit ein „lebendiges Objekt“ an dem ich mein Konzept, das als Basis ganzheitliches und persona lisiertes Muskeltraining hat, austesten und umsetzen konnte. Die Grundlage dafür fand ich einerseits in der Fiatarone Stu die und andrerseits in Japan. Denn bereits vor mehr als 10 Jahren führte die Firma Proxomed erfolgreich in diesem Land eine Studie mit 90-jährigen Altersheimbewohnern durch. Das Resultat war, dass der Staat Trainingscenter für Ü70 errich tete, subventionierte und somit aktiv etwas gegen die stei genden Gesundheits- und Pflegekosten tat. Während man in der Schweiz im Dienstagsclub über überfüllte Pflegeheime, fehlenden Pflegepersonal und Auslagerung unserer pflegebe dürftigen Senioren nach Thailand diskutiert, ist Japan soweit, dass sich Menschen, die in ein staatliches Altersheim wollen zum Muskeltraining verpflichtet werden. Warum setzt man bei uns nicht auf Prävention? Warum lässt man es soweit kommen, dass man pflegebedürftig, unselbst ständig, immobil wird? Bedingt es nicht einen Paradigmen wechsel, ein Umdenken?!

Sylvia Gattiker, Jahrgang 1956 MA Prävention und Gesundheits management, Schwerpunkte: BGM (Betriebliches Gesundheitsmange ment) und Gesundheitsförderung im Alter. Fachtherapeutin für moderne Orthomolekular Medizin und Medical Wellness SFGU.

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STARKVITAL 60+ Nr. 20

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