StarVital Nr 36
Carmen Schiltknecht Kolumne
KOLUMNE | Carmen Schiltknecht
ES IST SO...
Im Alter von 11 war Pippi Langstrumpf mein Vorbild. Ich lebte nicht im Abenteuerland, hatte keine roten Zöpfe und war schon gar keine Heldin. Doch das sommersprossigste Mädchen der Welt begleitete mich nicht nur durchs Kinderzimmer, sondern dank ihr entdeckte ich auch meinen eigenen Spielraum, der ausserhalb von der Ordnung und den Konventionen lag, mit denen ich aufgewachsen bin.
M
it 14 entschied ich, eine Persönlichkeit zu werden. Wenn meine beste Freundin fragte, was genau ich mir darunter vorstelle, antwortete ich: «Das ist jemand, der sich traut, sein eigenes Ding zu machen, jemand,
Was will ich wirklich im Leben? Ich habe ernst genommen, was wirklich in mir brennt. Und die Frage, was ich wirklich im Leben will, stelle ich mir noch heute. Wünsche von einst müssen ja nicht Wünsche für immer sein. Wir verändern uns, und auch die Welt verändert sich in drastischem Tempo. Das Le ben ist ein Prozess. Also lassen wir es fliessen und fliessen wir mit. Wichtig ist nur, dass man trotz neuer Wege die Orientierung nicht verliert. Für mein Umfeld war ich manchmal etwas zu egoistisch, besonders für Frauen. Aus ihrer Sicht lebte ich das Leben, das ich leben wollte. Das entsprach nicht der Norm und war schwer einzu ordnen. Ob zu Veranstaltungen oder Vorträgen, zu Einladungen oder bei Reisen – ich war in jungen Jahren oft alleine unterwegs. Die Hemmschwelle, alleine unterwegs zu sein, ist gross. Doch man lernt nicht nur neue Menschen und die Welt auf eigene Faust kennen, sondern auch sich selbst. Klar, da denkt so mancher: Was stimmt mit dieser Person nicht, die da alleine die Stadt erkundet und alleine zum Event erscheint? Wer immer nur in Gesellschaft unterwegs ist, verpasst wertreiche Erfahrungen und Erlebnisse. Ich wollte auch in diesen Bereichen aus meiner Komfortzone heraustreten, Probleme selber lösen, mich mit dem, was mir begegnet, auseinandersetzen und einmal mit ungefiltertem Blick Neues entdecken. Leben, wie es dir gefällt Zurück zu Pippi Langstrumpf. Der Film «Pippi Langstrumpf» er schien 1968, die Zeit der Emanzipation der Frau von Kindern, Küche und Kirche. Eine Befreiung war im Gang. Und Pippi wurde ihr Idol, denn sie machte sich ihre Welt, wie sie ihr gefiel. Eine Lebenshal tung, die viele von uns vergessen haben. Wie schön, wenn wir uns wieder daran erinnern und mehr von uns so leben, unser authenti sches Selbst zurückerobern.
der mutig ist, seine Meinung vertritt und in Erinnerung bleibt.» «Nenn mir nur ein Beispiel, wer als Beruf Persönlichkeit ist», sagt sie weiter. «Nun, da kommt mir nur Pippi Langstrumpf in den Sinn.» Wir fielen in schallendes Gelächter, bevor sie noch wissen wollte, ob man denn damit Geld verdienen könne. «Ich habe keine Ahnung, doch ich werde es versuchen», sagte ich überzeugt. Mit 17 wurde mir klar, dass ich raus aus der Kleinstadt und hinein in die grosse weite Welt wollte. Wie das vor sich gehen sollte, wusste ich noch nicht. Doch ich erlaubte mir zu träumen: gross und bunt und grenzenlos. Ich stellte mir ein Leben als erfolgrei che Inhaberin einer kreativen Firma vor. In Gedanken reiste ich nach Paris, London und New York. Ich träumte von einer eigenen Wohnung in einer interessanten Stadt und davon, wie ich frei und unabhängig meine eigenen Spuren hinterlasse. Der ungebremste Blick nach vorne In meinen Gedanken war ich auf der Überholspur und blickte un gebremst nach vorne, um auf die Zielgerade zu kommen. Ein erster Meilenstein war Croydon, ein Stadtbezirk im Süden von London. Allerdings war ich nicht als gefragte Unternehmerin unterwegs, sondern als Au-pair in einer fünfköpfigen Familie tätig. Trotzdem, ich habe mich gefreut, wie sich ein Kind auf den nächsten Tag freut. Es war die Zeit des Umbruchs und ich spürte das sehr stark. So hat sich die 18-jährige Carmen Flügel angeschnallt, sich tra gen lassen vom Neuen und Unbekannten. Mit dem verdienten Geld konnte ich mir immer wieder eine Zugfahrt nach London leisten. Die schiere Grösse dieser Stadt hat mich umgehauen. Da liess ich mir den Duft der grossen weiten Welt um die Nase we hen und war einfach fasziniert. Hier schien alles möglich zu sein. Ganz anders als in der biederen Kleinstadt, in der ich aufwuchs. Bis zur Zielgerade hat es seine Zeit gedauert. Es bedurfte auch manchem Umweg und mancher Brücke. Je älter ich wurde, desto besser lernte ich mich selbst kennen. Um mein Potenzial freier entfalten zu können, musste ich mich von Konventionen und den überholten Bildern lösen, die auch die Gesellschaft über Frau en gestülpt hat. Diese Erkenntnis kam einem Befreiungsschlag gleich. Nur so war es mir möglich, gelassen und mit Humor diese Freiheit zu nutzen, im Vertrauen darauf, dass mein Weg schon der richtige sein wird. Und wenn nicht, dann mache ich halt eine Extraschlaufe.
Carmen Schiltknecht, 65 ROCK DAS ALTER Coach & Mentorin Podcasterin & Speakerin
www.carmen-schiltknecht.com carmen@carmen-schiltknecht.com
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STARKVITAL 60+ Nr. 36
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