StarVital Nr 36

Dr. med. Jürg Kuoni Kolumne

Nach Todesfällen infolge Herzkreis laufkrankheiten kommen an zweiter Stelle diejenigen infolge Krebskrank heiten. Der Unterschied ist gering. Die Zahl verlorener Lebensjahre (durch Tod vor der statistischen Lebenser wartung) ist hoch, dürfte sich aber kaum wesentlich unterscheiden. Wieso eigentlich? Wir leisten uns ja ein superteures Gesundheitswesen, das einen aufwändigen Präventi onsapparat für Herzkreislaufkrank heiten und für Krebsvorsorge auf gebaut hat. Regelmässig Checkups und Behandlung von Risikofaktoren (selbstverständlich medikamentöse, was denn sonst?) wie hohe Choleste rinwerte, hoher Blutdruck oder auch hoher Blutzuckerspiegel verschlingen Unsummen an Prämiengeldern. Dazu kommen all die Zusatzuntersuchun gen wie Belastungs- und Langzeit Elektrokardiogramme, Echokardio gramme, Herzkatheteruntersuchun gen und so weiter…. Eigentlich kaum zu glauben, dass bei diesem engmaschi gen Präventionsangebot die Zahl der Herzkreislaufkrank heiten nicht einen auffälligen Knick nach unten macht. Mit anderen Worten: weshalb die Lebenserwartung nicht steigt. Den Knick nach unten suchen wir aber vergebens, einen Knick finden wir allerdings: den der Kosten nach oben. Die Krankenkassen haben laut Gesetz die Aufgabe, die Wirtschaft lichkeit medizinischer Interventionen zu prüfen. Das tun sie auch, indem sie immer wieder publikumswirksam einzelne Ärzte kujonieren, vielleicht hie und da sogar zu Recht. Auf die Gesamtkosten haben diese Alibi Übungen allerdings keinen Einfluss. Eine Kosten-Nutzen-Analyse für den gesamten Präventionsapparat? Nicht existent. Länger leben dank Vorsorge? Wie sieht denn der Return on Investment für die Krebsvorsorge aus? Intu itiv gehen wir doch alle davon aus, dass eine früher diagnostizierte Krebserkrankung einen deutlich besseren Behand lungserfolg haben muss. Müsste. Denn ganz unabhängig in welchem Organ der Krebs zu wach sen beginnt, gibt es langsam und schnell wachsende Krebse, gewis sermassen Schildkröten und Hasen. Die Schildkröten wachsen so lang sam, dass sie ihrem Träger wahr scheinlich nie Probleme machen wer den, er stirbt in hohem Alter gesund oder an einer anderen Krankheit. Pro bleme bekommt er nur dann, wenn dieser Krebs bei einer Vorsorge Untersuchung gefunden wird, weil keine Vorsorgeuntersuchung sicher voraussagen kann, wie schnell dieser Krebs wachsen wird. Die Folge: eine „Therapie“, also Skalpell, Strahlen oder Chemotherapie oder eine Kom bination davon. Was auch immer, in jedem Fall eine Katastrophe für die Lebensqualität einer gesunden Per son, die durch einen Zufallsbefund zum Krebspatienten geworden ist. Dann gibt es sehr schnell wachsende Krebse. Diese werden diagnostiziert, weil sie Symptome entwickeln. In den meisten Fällen haben sie in diesem Stadium bereits Ableger - Metasta sen - gebildet. Die „Therapie“ wird zur Verzweiflungstat mit geringer Erfolgschance. Doch welcher Onko loge (Krebsspezialist) wird seinem Patienten sagen: Wir können einen Therapieversuch machen, allerdings ohne jede Erfolgsgarantie. Vielleicht können wir ihr Leben „etwas“ verlän gern, vielleicht verkürzen wir es aber. Oberste Maxime scheint zu sein, dem Patienten Hoffnung zu machen. Obwohl dieser sich meistens keine Illusionen macht.

und es ist nicht vorhersehbar, ob der/ die Patient:in durch eine Therapie geheilt werden kann oder ob durch die vorgezogene Diagnose das Leben mit Krebs verlängert wird, nicht aber das Leben. Typische Beispiele: der häufigste Krebs der Frau, Brustkrebs, und der häufigste Krebs beim Mann, Prostata Krebs. Über den Sinn von Vorsorge Untersuchungen bei diesen Krebsfor men gibt es ausgezeichnete Studien. Brustkrebs: Bei der Einführung eines Programms zur Früherkennung von Brustkrebs versprach die Krebsliga: «Es darf erwartet werden, dass die Brustkrebssterblichkeit (…) mit dem Früherkennungsprogramm um 15 bis 20 Prozent gesenkt werden kann». Ein Schurke, wer dieses Programm nicht befürworten würde! Bis zu 20 von hundert Frauen kann der Krebs tod erspart werden! Wie sieht die Realität aus? Gemäss einer Cochrane Review (der Gold standard medizinischer Studien) sterben von tausend Frauen, die an einem Vorsorgeprogramm teilneh men, vier an Brustkrebs, von den nicht teilnehmenden tausend sind es fünf. Absolut stirbt also eine Frau von tausend durch das Früherken nungsprogramm weniger als ohne Vorsorge, das ist genau ein Promille. Man kann das natürlich auch anders formulieren: vier sind 20 Prozent weniger als 5, und schon haben wir eine relative Reduktion der Brust krebstodesfälle von 20 Prozent! Das ist der Betrug, der sich durch die gesamte medizi nische Literatur verfolgen lässt: statt der absoluten Risikoreduktion (in unse rem Beispiel von einem Promille) wird die relative Risikoreduktion (in unse rem Beispiel 20 Prozent) verwendet, und schon wird aus einem Resultat, das keinen Hund hinter dem Ofen hervorlockt, ein gewaltiger Erfolg.

Zwischen den Schildkröten und Hasen gibt es eine dritte Gruppe von Tumoren (Krebsen), deren Wachs tumsgeschwindigkeit irgendwo zwi schen den beiden liegt. Das heisst: durch eine Krebsvorsorge-Untersu chung können sie gefunden werden,

Jürg Kuoni Dr. med. Jahrgang 1945 Lebenslauf und Kontakt aufnahme: siehe www.starkvital.ch

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STARKVITAL 60+ Nr. 36

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