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Gesell schaft

Gemeinsam statt einsam Eine Hausgemeinschaft gegen Einsamkeit und soziale Isolation Ab ins Altersheim? Nicht länger ein Muss. Heute gibt es eine Vielzahl von neuen Wohnmodellen für Menschen, die mit weniger Wohnballast älter werden wollen. Eine inno vative Wohnformel ist auf dem Vormarsch, die nichts mit Senioren-WGs zu tun hat, bei der man sich Wohnung und Kosten mit anderen Menschen teilt, wie Miete, Heizung, Strom etc., ähnlich wie bei Studenten-WGs.

Wie funktioniert eine Hausgemeinschaft? Es ist eine Form des Zusammenlebens, die

von den Bewohnerinnen, die sich zu bestimmten gemeinsa men Werten bekennen, selbst organisiert und geleitet wird. Viel Toleranz und Anpassungswillen sind erforderlich, denn es ist nicht immer einfach, zu verhandeln und einen Kon sens zu erreichen. Ziel ist es, die Nachbarschaft zu fördern, der Isolation entgegenzuwirken und gegenseitige Unterstüt zung zu bieten. Als Alternative zum Alleinleben haben die Bewohnerinnen freundliche, hilfsbereite Nachbarinnen. Sie bestimmen selbst, wie sie im Alter leben wollen, in diesem Fall in einer Gruppe gleichgesinnter Frauen. New Ground ist weder ein betreutes Wohnen noch eine von der Aussenwelt abgeschottete Rentnergemeinschaft. Eine Pioniergemeinschaft für Frauen Die Siedlung bietet Platz für 26 Frauen, von denen fast alle frü her allein lebten. Sie kommen aus einer Vielzahl von Kulturen und haben verschiedene Hintergründen. Mehrere Generati onen leben nebeneinander, denn ihr Alter reicht von Anfang 50 aufwärts, bis über 90. Obwohl sie alle sehr unterschiedlich sind und ihre eigenen Interessen und familiären Beziehun gen haben oder noch berufstätig sind, teilen sie den Wille, selbständig und aktiv zu bleiben, in jeder Hinsicht. Für sie ist es beruhigend zu wissen, dass es immer jemanden ganz in der Nähe gibt, der notfalls etwas zu essen bringen kann oder anklopft, um zu sehen, ob eine Bewohnerin Gesellschaft will. Alle haben das Bedürfnis, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Die Werte, die die Wohngemeinschaft inspirieren: • Akzeptanz und Respekt für Vielfalt • Sorge und Unterstützung füreinander • Ein Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und Gemeinschaft • Entgegenwirken von altersbedingten Stereotypen • Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung • Aufrechterhaltung einer Struktur ohne Hierarchie • Fürsorge für die Umwelt • Teil einer grösseren Gemeinschaft zu sein Das Interesse für solche Wohnlösungen hat in den letzten Jah ren stark zugenommen, auch bei den zuständigen Behörden, denn England hat eine alternde Bevölkerung. Auch deshalb, weil diese neuartige Wohnform für Seniorinnen den konventionellen, teilweise gefürchteten Altersheim in vielen Fällen ersetzen kann, was zu enormen finanziellen Einsparungen führt. Gleichzeitig könnten solche Wohnlösungen das Leben vieler Menschen bereichern und den Druck auf die öffentlichen Gesundheits- und Pflegedienste verringern. Eine Bewohnerin antwortet: Was ist das Beste? Von Menschen umgeben zu sein, auf die ich mich verlassen kann, bei denen ich mich sicher fühle und dabei die Kontrolle über mein Leben behalte, während ich älter werde. Was ist das Schlimmste? Man kann nicht immer seinen Willen durchsetzen. Wir machen die Dinge im Konsens, was manchmal zeitaufwändig sein kann. Aber das ist es wert.

In Grossbritannien, wie in anderen europäischen Ländern, ist Einsamkeit ein ziemlich weit verbreitetes Phänomen. Jede dritte ältere Person lebt allein, die Mehrheit davon sind Frauen. Man kann in einer bevölkerungsreichen Metropole wie London wohnen und trotzdem vereinsamen. Manchmal sind tagsüber die einzigen Gelegenheiten, sich mit jeman dem zu unterhalten, an der Supermarktkasse, falls es noch welche gibt, die von Kassierer:innen bedient werden. Im Zuge dieser Gegebenheit und im Hinblick auf die bevorstehende Massenpensionierung der Babyboomer kam eine Gruppe von sechs Frauen auf die Idee, eine Hausgemeinschaft in London zu gründen - ausschliess lich für Frauen. Das erste, dem Projekt gewidmete Treffen fand 1998 statt. New Ground Cohousing Eine Hausgemeinschaft für ältere Frauen Nach jahrelangen intensiven Bemühungen um die Ver wirklichung des Projekts wurde der eigens errichtete Wohnblock im Norden Londons 2016 endlich eröffnet. Es brauchte bis zur Vollendung fast 20 Jahre, denn die Behörden zögerten lange mit der Baubewilligung aus Angst vor höheren sozialen Ausgaben. Die Siedlung umfasst 25 Wohnungen - davon acht Sozial wohnungen - und Gemeinschaftsbereiche, darunter Gär ten, eine Wohnung, in der Freunde und Verwandte auf genommen werden können, und ein Gemeinschaftshaus, in dem die Gäste gemeinsame Aktivitäten unternehmen können, wie zusammen essen, Filme ansehen und an Kursen teilnehmen. Das Mindestalter für den Bezug einer Wohnung beträgt 50 Jahre. Persönlicher Freiraum und Privatsphäre sind gewährleistet. Die Gemeinschaft wird von ihren Bewohnerinnen aktiv und unabhängig verwaltet. Die zuständigen Teams kümmern sich um die Finanzen und die Instandhaltung. New Ground zeigt, wie ältere Menschen in vollständiger Autonomie sich selbst versorgen können, ohne externe Einmischung und unerwünschte Intervention von öffent lichen Ämtern.

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STARKVITAL 60+ Nr. 34

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