HEALTH TRIBUNE Nr 1
Werner Kieser
Wir bewegen uns kraft unserer Kraft
Werner Kieser
Diese wenigen Kunden, die sich der ärztlichen Empfehlung widersetz ten, waren wohl die Mutigsten. Aber Tausende verzichteten aufgrund der Ignoranz und Arroganz von „Exper ten“ auf die sinnvollste „anti-aging“ Massnahme. Stattdessen empfah len (und empfehlen immer noch) die meisten Präventivmediziner das Laufen – je mehr, desto besser, offensichtlich ignorierend, dass länger dauernde Ausdauerleistun gen katabol wirken, d.h. die weissen Muskelfasern abbauen. Meine Frau eröffnete 1990 die erste Arztpraxis für Medizinische Kräfti gungstherapie. Befreundete Arzt kollegen reagierten unterschiedlich. „Wollt ihr im Ernst Rückenpatien ten in diese Maschine stecken?“ war die eine Reaktion. „Genau das Richtige!“ war die andere, allerdings weniger häufige. Eine positive Beur teilung kam von jenen Ärzten, die buchstäblich „über den Tellerrand“ ihrer Profession hinaus sahen. In der medizinischen Ausbildung ist der anabole (aufbauende) Effekt des Muskeltrainings bis heute kein Thema. Daher liegt das Problem weniger bei den sogenannten Fach leuten, als bei jenen, die ihnen blind vertrauen. Die Gesundheit ist ein zu wichtiges Gut, um sie vorbehaltlos an Arzt und Krankenkasse zu dele gieren. Was Not tut, ist ein neues Fach gebiet: Aufbau und Wartung des menschlichen Bewegungsapparates jenseits von Sport und Show. Dass ein solches Vorhaben „funktioniert“, wird von den meisten Fachleuten
Job geleistet. Im Sinne der Evolution sind wir dann schlicht nicht mehr nötig Während Sie diesen Text lesen, gehen Tausende von Zellen in Ihrem Körper zugrunde. Gleichzei tig werden Tausende aufgebaut. Diesen Prozess nennt man „Leben“. In der Jugend überwiegen die Auf bauprozesse – wir wachsen. Mit zunehmendem Alter überwiegen die Abbauprozesse – wir sterben. Einen Einfluss auf diese Prozesse hielt man lange für unmöglich. 1990 gingen die erstaunlichen Resultate einer Studie von Maria Fiaterone um die Welt. Die Geria terin erzielte mit einer Gruppe von 86-Jährigen bis 96-Jährigen inner halb von acht Wochen im Quad riceps einen durchschnittlichen Kraftzuwachs von 174%, 9% Mus kelmassezuwachs und eine erhöhte Gehgeschwindigkeit um 48%! Dies alles mit einer einzigen Kraftübung für die Oberschenkelmuskulatur, ohne Gehübungen, Koordinations training oder sonstige Massnahmen. Zu lange führte das Muskeltraining sowohl als Präventions- wie auch als Therapiemassnahme ein Schatten dasein. Noch in den Achtzigerjahren berichteten mir ältere Kunden, dass ihnen ihr Arzt dringend vom „Kieser Training“ abgeraten hätte. Sie soll ten etwas „Vernünftiges“ machen. Zum Beispiel die damals von der Magglinger Sportschule empfoh lene „Schwunggymnastik“. Diese zeitigte zwar ausser Zerrungen keine physiologischen Veränderungen, machte aber angeblich „Freude“.
Dass körperliche Betätigung sinn voller ist als Schonung, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Drei Fachgebiete verstehen sich heute als zuständig, diese Erkenntnis wis senschaftlich zu untermauern und/ oder zu verbreiten:
• Präventivmedizin
• Sportwissenschaft
• Fitnessindustrie
Die Präventivmedizin übt sich in Symptombekämpfung (Rauchen, Medikamentenmissbrauch, AIDS usw.). Die Sportwissenschaft bemüht sich, sportlicher Betätigung gesundheit liche Relevanz abzugewinnen und tatsächlich eine Wissenschaft zu werden. Das ist nicht ganz einfach, weil der Sport nicht physiologische, sondern ideologische Wurzeln hat. Die Fitnessindustrie ist im Erwerbs gedanken stecken geblieben. Will fährig „Kundenwünsche“ zu erfüllen, hat sie ihren ursprünglichen Zweck, die Kräftigung des Menschen, aus den Augen verloren. Allen drei Fachgebieten fehlt eine explizite und faktische Ausrichtung mit evolutionstheoretischen Prä missen. Krankheit, Zerfall, Demenz sind kein „Unglück“, obwohl diese im individuellen Fall als solche wahrge nommen werden. Die Evolution hat kein Interesse an unserem Weiterle ben nach Erreichen des Reproduk tionsalters. Als „Vehikel der Gene“ (Dawkins) haben wir - wie alle Lebe wesen - mit deren Weitergabe den
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