FT 106 - Jahr 2007
Studio Management
Aufschieberitis – oder die Vorzüge der Improvisation
Den Abgabetermin für meinen Artikel in der Fitness Tribune kenne ich immer einige Monate im Voraus. Zudem ist die Redaktion so nett, mir immer zwei Wochen vor Redaktionsschluss eine Erinnerungsmail zu schreiben. Mei stens nehme ich mir vor, ein paar Tage vor dem Abgabetermin mit dem Arti kel anzufangen. Beim Vornehmen bleibt es auch meistens, denn zuerst habe ich keine Lust und dann kommt immer soviel dazwischen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Als Manager: Morgen ist der wichtige Prä sentationstermin von dem Sie schon seit vier Wochen wissen, aber noch keine Spur von fertiger Präsentation. Als Aerobic-Instructor: In einer Stunde ein neuer Kurs, und noch keine Spur von neuer Kombi? Falls Sie sich in den obigen Zeilen wie dererkannt haben, sollten Sie weiter lesen, denn in den folgenden Abschnit ten geht es um das Aufschieben, warum wir es so gerne tun und wie wir damit umgehen können. Doch keine Sorge, jetzt folgt nicht der x-te Artikel zum Thema Zeit- und Zielmanagement, son dern warum Sie eventuell genau so wei termachen sollten wie bisher, aber mit gutem Gefühl dabei. „Aufschieberitis“ in fünf Akten Machen wir uns nichts vor: Das Leben besteht aus Herausforderungen und Terminen. Wir wollen unsere Aufgaben meistern, Ziele erreichen, unser Wissen unter Beweis stellen oder Auftritte absol vieren. Die allermeisten Prüfungs-, Ver anstaltungs- und Erledigungstermine sind uns frühzeitig bekannt. Trotzdem geraten die meisten von uns mit schö ner Regelmässigkeit in eine End-Ter min-Hektik. Doch warum eigentlich? Schauen wir uns mal das Schauspiel „Aufschieberitis“ genauer an: 1. Akt Schuld an der ganzen Misere ist das Lustprinzip. Denn wir widmen uns lie ber unserer aktuellen Lieblingsbeschäf tigung und schieben aufwändige, lang fristige und oft auch eher unangenehme Aufgaben erst mal vor uns her. Leider fallen die meisten längerfristigen Auf gaben in die Kategorie „unangenehm“, was das Wegschieben ungemein attrak tiv macht. Oder haben Sie sich schon
mal gefreut Ihre Jahressteuererklärung vorzubreiten? Ausserdem: Der Termin ist zuerst noch weit weg und zudem gibt es ja soviel anderes zu tun. Zum Beispiel meinen Schreibtisch aufräumen, eine interessante Webseite zu sichten oder mit einem Kollegen zu telefonieren. Ab und zu kommen zwar Gedanken an die zu bewältigende Aufgabe hoch, zuerst noch ganz sacht, aber zunehmend bedrohlich. 2. Akt Früher oder später wird klar: die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Die Auf gabe ist wichtig geblieben und mehr als dringlich geworden. Die Zeit wird knapp und ich stecke in der Klemme. 3. Akt Die Gedanken springen zwischen Panik („das schaffst du nicht mehr“) und Hoffnung („irgendwie habe ich es doch immer hinbekommen“) hin und her. Selbstbeschimpfungen („warum hast du Idiot nicht früher angefangen“) wechseln sich mit Black-out-Momenten („was hatte ich eben doch für eine tolle Idee?“) ab. Irgendwann hört die Gedankenspirale auf und beginnt sich aufzulösen. Hoff nung keimt auf: „Vielleicht schaffe ich es doch noch“, „Was soll’s, Mut zur Lücke“, „Augen zu und durch“. Mit dem Mut der Verzweiflung beginne ich loszulegen. Ich probiere es wenigstens. 4. Akt Die Bedingungen sind klar. Die massive Zeitnot lässt nur noch Notlösungen zu. Dafür brauche ich mir nicht zu überle gen, ob ich denn Lust habe oder nicht. Denn Termindruck ist ein probates Mittel gegen fehlende Selbstmotiva tion. Die anfangs geplante Maximal Lösung geht nicht mehr und auch für Verdummbesserungs-Tendenzen fehlt jeglicher Spielraum. Ich habe auch keine Zeit mehr auf Ideen zu warten. Wie hei sst es so schön: Not macht erfinderisch. Ich brauche mich selbst auch nicht mehr zu fragen, ob denn mein Mut zur Lücke reicht. Er muss reichen. Der Verlust von Alternativen zwingt zu einem Perfek tionismusverzicht und eröffnet somit Spielräume. Wahrscheinlich akzeptiere ich Lösungen, die ich bei genügend Zeit als Zumutung abgetan hätte. Wer jetzt meint, solch eine Arbeitsweise sei ja voll-
Harald Gärtner Jahrgang 1970
Diplomsportwissenschaftler an der Universität Tübingen mit den Schwerpunkten Breiten- und Ge sundheitssport. MBA, Master of Business Admini stration an der European School of Business (FH Reutlingen) und NLP-Master (DVNLP). Während des Studiums sammelte er praktische Erfahrungen als Trainer und Leiter in verschiedenen Fitness anlagen. Nach dem Studium arbeite te er bei einer amerikanischen Firma für Sporternährung im Marketing Bereich. Zur Zeit ist er bei der BSA Akademie als Referent und Berater beschäftigt. Harald Gärtner ist Fachautor von über 150 Beiträgen in verschie denen Magazinen und Mitautor von mehreren Büchern im Fitness-, Wirtschafts- und Kommunikati onsbereich. Ausserdem wirkte er bei wissenschaftlichen Projekten und deren Publikationen mit. Träger des STRENFLEX Fitness
Sportabzeichens GOLD. gaertner.harald@web.de
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