FITNESS TRIBUNE Nr. 141 Archiv aus dem Jahr 2013

Kommen tar

Wo steht die Fitnessbranche heute? Paul Eigenmann Geschäftsführer QualiCert AG

Momentaufnahmen vs Entwicklung Für einen Bericht zur „Lage der Branche“ ist der Titel eigentlich falsch; denn wenn die Branche still stünde, wäre das auf jeden Fall ein sehr schlechtes Zeichen. Das tut sie aber nicht, im Gegenteil! Sie entwickelt sich stür misch, scheint allerdings nicht so genau zu wissen, wohin sie will beziehungsweise wie die Konsequenzen der unterschiedlichen Ausrichtungen denn sein könnten. In den folgenden Ausführungen geht es nicht um die Momentaufnahme des jetzigen Zustan des der Fitnessbranche, sondern um mög liche oder wahrscheinliche Entwicklungen. Momentaufnahmen sind fast immer Ent täuschungen – man ist eben nicht dort, wo man gerne wäre. Im Lichte vergangener und möglicher zukünftiger Entwicklungen aber ist das Urteil oft positiv, weil der Ist-Zustand Ausdruck von Bewegung ist und Bewegung Dynamik sowie Entwicklung bedeutet und steuerbar ist – zu einem grösseren oder klei neren Grad. Und es gibt keinen Zweifel: Die Fitnessbranche hat in den letzten rund 45 Jahren eine fast unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Waren die „Fitness-Studios“ in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhun derts „Eisen-Etablissements“ mit wenigen Kugelstössern und Hammerwerfern, ein paar Bodybuildern sowie einigen Zuhältern und Rausschmeissern, in jedem Falle aber aus schliesslich jungen, männlichen Mitgliedern, so entspricht die heutige Population der Fit nesscenter demographisch recht genau der Gesamtbevölkerung – mit Ausnahme der doch erstaunlichen Frauenmehrheit. Die Vergangenheit „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht bewältigen“ heisst es zu Recht. Dabei dürfen insbesondere zwei Tatsachen nicht vergessen werden: • Die Wurzeln der Fitnessbranche liegen im Bodybuilding und Kraftsport. • Zu den verlässlich und dauerhaft rekru tierten Mitgliedern gehören die Kraftspor tenthusiasten vornehmlich männlichen Geschlechts. Bodybuilding und Kraftsport sind DAS Kenn zeichen eines Fitnesscenters. Man könnte alle der vielen in Fitnesscentern angebotenen Dienstleistungen streichen, aber nicht gerä tegestütztes Krafttraining. Sonst handelt es sich auch aus Sicht der Kunden beim ent sprechenden Anbieter nicht mehr um ein Fitnesscenter. Gerätegestütztes Krafttraining ist auch das Alleinstellungsmerkmal unserer Branche – eine hervorragende Ausgangslage vor allem im Hinblick auf einige der möglichen

Die vorgehende Liste liesse sich mit weite ren Krankheiten (Herzkreislaufkrankheiten / Osteoporose / psychische Erkrankungen etc.), gegen welche Training und Bewegung hervorragende Wirkungen zeigen, noch deut lich verlängern. Trotzdem muss eine ketzerische Frage erlaubt sein. Diese Frage zweifelt nämlich weder die Tatsache an, dass Fitnesstraining ein billiges, wirksames und nebenwirkungs freies „Medikament“ gegen alle Zivilisations krankheiten ist, noch die Tatsache, dass die Fitnessbranche in der Lage ist, diese viel versprechende Dienstleistung kompetent zu erbringen. Es muss vielmehr gefragt werden, ob die Fitnessbranche genügend gut gerüs tet ist, um als neuer „Eindringling“ in den „kurativen“ Gesundheitsmarkt im politischen Kampf um Akzeptanz und Anerkennung erfolgreich bestehen zu können. Wenn nicht „kurativ“, dann halt „präventiv“ kann zu Recht angeführt werden. Gerä tegestütztes Fitnesstraining wirkt bei den nicht übertragbaren Zivilisationskrankheiten natürlich nicht nur lindernd und heilend, min destens ebenso gut oder sogar besser ist der präventive Effekt – vor allem aber auch gescheiter und billiger; ist es doch beispiels weise völlig unsinnig, die reine Lebensstil krankheit „Diabetes 2“ erst zu behandeln, wenn sie schon ausgebrochen ist. Der prä ventive Gesundheitsmarkt wäre gleich aus mehreren Gründen ein attraktives Betäti gungsfeld für die Fitnessbranche: • Die Anzahl potentieller Kunden ist weit grösser; denn die Zahl (noch) gesunder Menschen ist – und das ist ein Glück – nach wie vor weit grösser als jene der (bereits) Kranken, auch wenn heute praktisch die gesamte Bevölkerung in ihrem Lebensstil bedroht ist. • Die Konkurrenz im wirklich primärprä ventiven Bereich (nicht Vorsorgeuntersu chungen) also jene Konkurrenz, welche wirksame Angebote zu jenen Bedingun gen anbietet, die für Primärprävention wichtig sind, ist deutlich geringer und politisch auch weniger gewichtig. • Primärpräventiv geeignet ist ein Angebot nur dann, wenn es nicht nur wirksam ist, sondern auch durch hohe Multiplikati onsfähigkeit und leichte Zugänglichkeit zu verträglichen Preisen für viele Men schen nutzbar ist. Genau diese drei Punkte zeichnen gerätegestütztes Fit nesstraining im Vergleich zu den traditi onellen Anbietern im „kurativen Gesund heitsmarkt“ aus.

Paul Eigenmann (Jahrg. 1947) Initiant und Entwickler Qualitop, CEO Qualicert

Zukunftsszenarien. Ob der Begriff „Kraft training“ allerdings optimal ist, ist zumindest zu hinterfragen. Mehr dazu später. Weil die Fitnesscenter beinahe alleinige Anbieter von gerätegestütztem Krafttraining sind und ein wirkungsvolles Krafttraining ausserdem – entgegen der Meinung einiger methodisch didaktischer Illusionisten – nur mit entspre chenden Geräten durchgeführt werden kann, gehören die Krafttrainingsenthusiasten zum sicheren Kundenstamm, der ohne grosse Marketinganstrengungen rekrutiert werden kann und dabei erst noch einen festen Bei trag an die Fixkosten garantiert. Sie dürfen – obwohl zahlenmässig sicherlich eine eher kleine Gruppe – nicht vernachlässigt werden; denn in der Zwischenzeit tummeln sich in den Fitnesscentern bereits drei Generationen sol cher Krafttrainingsenthusiasten. Wer unsere Wurzeln, das gerätegestützte Krafttraining, vernachlässigt, sägt am Ast der Zukunft, auf dem er selbst sitzt. Die Zukunft: Gerätegestütztes Fitnesstraining als Gesundheitsdienstleistung? Grundsätzlich liegt es in der heutigen bewegungsarmen Zeit und angesichts der dadurch grassierenden, nicht übertragbaren Zivilisationskrankheiten auf der Hand, dass gerätegestütztes Fitnesstraining eine ideale Gesundheitsdienstleistung für die Zukunft darstellt: • Training und Bewegung wirken besser gegen den schon bald epidemisch auftre tenden Diabetes II als das Standardmedi kament „Metformin“ 1 , 2 . • Krafttraining ist das einzige wirksame Mittel gegen die Sarkopenie, den altersbedingten Muskelschwund und den damit verbunde nen Kraftverlust. • Krafttraining kann – wissenschaftlich sehr gut belegt – äusserst erfolgreich gegen eines der teuersten nicht tödlichen Leiden, gegen Rückenschmerzen, eingesetzt werden.

14

Fitness Tribune 141

Made with FlippingBook Ebook Creator