FITNESS TRIBUNE Nr. 141 Archiv aus dem Jahr 2013
State ment from Switzerland
25 Jahre Fitness: Rasender Stillstand
Werner Kieser
Werner Kieser
(1940) ist Gründer und
Eigentümer der Kieser Training
AG, sowie Franchisegeber
der internationalen Studiokette
gleichen Namens. Er ist
Diplomtrainer, Unternehmer,
studierter Philosoph (MA)
und Autor von acht Büchern zum Thema Krafttraining
und Franchising. Er war von 1980-1990 europäischer
Generalvertreter der Firma NAUTILUS. Nach dem Verkauf
von NAUTILUS USA übernahm er die Vertretung von Arthur
Jones neuer Firma MedX. Nach dem Verkauf von MedX und
dem Ausscheiden von A. Jones erwarb er die Produktions-
und Vertriebsrechte für die patentierte MedX Technologie.
Alles begann bescheiden, doch mit viel Herzblut: 1955 eröffnete Harry Gelbfahrt (1930-2005) in Schweinfurt das erste deutsche Bodybuilding-Studio auf einer Gesamtfläche von 70 Quadratmetern. Es folgten Poldi Merc in Berlin, Peter Gottlob in Stutt gart, Rainer Smolana in München und so weiter. Pio niere, Veteranen. Traf man sich auf Meisterschaften oder woanders, sprach man über Trainingstechnik, über Geräte und über Ernährung. Das ätiologische Wissen vieler Bodybuilder über die Aufbauprozesse ihres Körpers, stellte das eines normalen Arztes in den Schatten. Man war sich bewusst, zu einer belächelten oder gar diskriminierten Minderheit zu gehören. Aber das kümmerte niemanden. Die Sache war wichtiger als die öffentliche Meinung oder gar der „Cash-flow“. So war das bis in die späten Sechzigerjahre. Die Fitnesswelle In den Siebzigern brach die Fitnesswelle über uns her ein. Ein Auslöser war ein Buch des amerikanischen Armeearztes Kenneth H. Cooper mit dem Titel „Aero bics“. Cooper empfahl Ausdauertraining als allein selig machendes Mittel gegen den drohenden Herzinfarkt. Dies sprach Ängste einer neuen, gut verdienenden Zielgruppen an: Manager und generell Angehörige der Mittelschicht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, rüsteten die Betreiber der Bodybuilding-Studios ihre Betriebe mit „Kardio“-Geräten auf und nannten ihr Eta blissement fortan „Fitness-Studio“. Das war die erste semantische Entgleisung: Der Anglizismus „Fitness“ ist ein Begriff aus Darwins Evolutionstheorie und bedeu tet „Angepasstheit“ und keineswegs körperliche Leis tungsfähigkeit. Die letzten 25 Jahre Doch mit Sprachkosmetik allein war es nicht getan; das Produkt selbst musste marktgerecht aufbereitet werden. Für das grosse Geschäft war das ursprüng liche, schweisstreibende Konzept ungeeignet. Man wollte den Stallgeruch des Bodybuildings rasch los werden. Das Angebot wurde diffus und die Kunden
konfus. Mit der konzeptionellen Konfektionierung hielt die sprachliche Kosmetik Schritt: „Wellness“ war gebo ren. Wohlgefühle im „Whirlpool“ statt Nahtoderfahrun gen bei der letzten Wiederholung der Kniebeugen mit der Langhantel. So hoffte man, auch den letzten Faul pelz in die Studios zu holen. Auch dem Herdentrieb musste Rechnung getragen werden. So erfuhr der bewährte Drill aus dem Kaser nenhof eine Renaissance als „aerobic“, „body pump“ und anderen Fortschrittlichkeit suggerierenden Ang lizismen. An der der physiologischen Konzeptionslo sigkeit dieser Gruppenanlässe änderte auch der Sex appeal von Jane Fonda wenig, doch förderte er deren Verbreitung. Es folgten mildere Formen bis schliesslich die Lösung aus der Steckdose Erfolg ohne Mühe versprach: Vib ration statt Anstrengung, Elektrostimulation statt pro gressiver Widerstand und andere „revolutionäre“ Kon zepte, über die sich „hard-core“-Bodybuilder halb tot lachten. Fortschritt im Gerätebau? Auch die Anbieter von Kraftgeräten suchten nach Ent wicklungspotenzialen aus der Steckdose. Einige Her steller ersetzten die Gewichtsblöcke an den Maschi nen durch Motoren, deren Leistung in Drehmoment umgewandelt wird. Ein Fortschritt? Eher ein Witz im Hinblick auf die Entwicklung der Stromkosten. Der Verdacht kognitiver Resistenz der Branche erhär tet sich. Denn es gab einmal echte Fortschritte. In den Sechziger- und Siebzigerjahren haben einige kluge Köpfe Kraftgeräte entwickelt, um das „Schummeln“ beim Hanteltraining durch geführte Bewegungen zu minimieren. Das erhöhte die Trainingsqualität, machte das Training aber härter. Statt diesen Weg weiter zu gehen, entwickeln einige Hersteller plötzlich Geräte, deren „Vorteil“ angeblich darin besteht, dass sie „freie Bewegung“ ermöglichen. Da hätte man ja gleich bei der Hantel bleiben können.
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