FITNESS TRIBUNE Nr. 104 - 2006

Kommentar

Nordic Walking Deutschland geht am Stock

Forciert durch Industrie und Sportver bände, unterstützt durch die Medien und gefördert durch viele Krankenkas sen ist Nordic Walking mit z.Zt. rund 3 Mio. Aktiven scheinbar unaufhaltsam auf dem Weg vom Trendsport zu einer neuen Volkssportart. Dabei ist Nordic Walking neben sportlichen (Wieder-) Einsteigern vor allem bei Frauen sowie bei Personen mittleren und höheren Lebensalters besonders beliebt. Vor allem die präventiven Effekte, die der neuen Sportart zugeschrieben werden – im Vergleich zum Walking ein erhöhter Kalorienverbrauch, eine Kräftigung der gesamten Haltemuskulatur, eine Auf richtung des Oberkörpers, eine Verbes serung der aeroben Ausdauer und eine 30-prozentige Entlastung der unteren Extremitäten – sind verantwortlich für diese Entwicklung. Vom Wunsch oder vom schlechten Gewissen beseelt, nun endlich etwas für die Gesundheit tun zu müssen, stützen sich viele Mitbürger auf Nordic Walking Stöcken aus dem Sessel und bevölkern mit dem ihnen typischen Klack-Klack Strassen und Wege. Ange sichts einer Quote von lediglich 27-30% der deutschen Bevölkerung, die eine sportliche Aktivität von mindestens 1 Std./Woche angeben, ist dieser Trend zur Bewegung grundsätzlich sehr zu begrüssen. Denn Gesundheitsförderung und Prävention v. a. durch regelmässige sportliche Aktivität zur Verhinderung oder Verzögerung von Erkrankungen ist eine der vordringlichsten Aufgaben unserer immer bewegungsärmer wer denden Gesellschaft und eine Investi tion in die Zukunft mit erheblichem Einsparpotenzial im Gesundheitswe sen. Gleichzeitig hat Prävention und Gesundheitsförderung aber unbedingt zu verhindern, dass aktivitätsbedingte Schädigungen des Bewegungsapparates durch Über- oder Fehlbelastungen ent stehen. Allen Versprechungen der Industrie und Meinungsäusserungen von Pro tagonisten des Nordic Walkings in Medien und Talkshows zum Trotz entlastet Nordic Walking jedoch weder die Gelenke noch werden Kraftspit zen reduziert. Hierin sind sich alle Studien renommierter Institute einig. Und auch der physiologische Nutzen von Nordic Walking stellt sich neueren Studien zufolge deutlich geringer dar

als ursprünglich angenommen. Auch wenn noch keine endgültige Klarheit herrscht, so scheint Nordic Walking wegen der Beteiligung grosser Teile der Muskulatur und vergleichbar den klas sischen Effekten im Skilanglauf jedoch bei entsprechender Intensität ein recht effektives Kraftausdauertraining für die wirbelsäulennahe Muskulatur wie für die Rumpf- und Armmuskulatur zu sein. Auf der anderen Seite mehren sich Berichte von Orthopäden über Gelenk beschwerden im Schulter- und Armbe reich nach Nordic Walking. Hier liegt die Vermutung nahe, dass Faktoren wie schlechte Koordination bzw. schlechte oder falsche Stocktechnik ebenso wie mangelnde Kraftfähigkeiten im Arm Schulter-Rumpfbereich ursächlich ver antwortlich sind. Soll der präventive Charakter von Nor dic Walking erhalten bleiben und Nor dic Walker nicht mit Stöcken am Stock gehen, dann müssen Massnahmen ergriffen werden, die diese Überlastungs syndrome verhindern. Das Einfachste wäre natürlich, einfach wie früher ohne Stöcke zu walken oder diese lediglich bergab zur – in diesem Falle nachgewie senen – Gelenkentlastung einzusetzen. Wenn denn aber der Aufforderungs charakter der Stöcke so hoch ist, dann sei der Besuch eines Nordic Walking Kurses mit Zertifikat und Schulung der aktuellen Stocktechnik dringend ange raten, ebenso wie der regelmässige Auf frischungskurs zur Sicherung und ggf. Korrektur der Stocktechnik. Alternativ bietet sich zudem die Möglichkeit, durch ein angeleitetes Krafttraining in ent sprechend zertifizierten Einrichtungen der Fitness- und Gesundheitsbranche seiner Arm-Schulter-Rumpf-Muskula tur zu einem angemessenen Start zum Nordic Walking zu verhelfen. Ein ziel gerichtetes Krafttraining bringt erwie senermassen nicht nur in der Rehabilita tion viele Patienten wieder auf die Beine oder leistet im Fitness- und Gesund heitsbereich wertvolle Hilfe wie etwa bei der Verhinderung oder Reduzierung von vielfältigen Rückenproblemen. Ein zusätzliches oder vorgeschaltetes Kraft training der Arm-Schulter-Rumpf muskulatur kann ebenso beim Nordic Walking einen wertvollen Beitrag zur Stabilisierung des Bewegungsapparates und zum Schutz der Gelenke vor bzw.

Priv.-Doz. Dr. Thomas Jöllenbeck Jahrgang 1959, abgeschlossenes Lehramtsstudium der Fächer Physik und Sport bevorzugte Sportarten: Alpiner Ski lauf, Radfahren, früher diverse Ball sportarten und Schwimmen langjährige Trainertätigkeit im Schwimmen, 18 Jahre Referent für Skilauf im DAV-Wuppertal Promotion zum Dr. Phil. und Habi litation in Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Bewegungswis senschaft und Biomechanik seit 2001 Leiter des Instituts für Bio mechanik in der Klinik Lindenplatz in Bad Sassendorf Abhaltung universitärer Lehrver anstaltungen bis 2005 an der Uni versität Wuppertal, seit 2004 an der Universität Paderborn Forschungen im Bereich Grund lagen des Kraft- und Dehnungs trainings und der Anwendung im Sprintlauf, Technik im Weitsprung, Muskelphysiologie im Zusammen spiel zwischen Nerv und Muskel aktuelle Forschung im Bereich der Rehabilitation: Gang mit und ohne Gehstützen, Therapieoptimierung, Belastungsreduzierung bzw. -opti mierung, Ergometertraining aktuelle Forschung im Bereich der Prävention: Belastung beim Wal king und Nordic Walking, geplant ist ebenso Joggen und Radfahren, Schontechniken im alpinen Skilauf (Skifahren mit Handicap) E-Mail: Thomas.Joellenbeck@Saline.de

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