StarkVital Nr. 38 Magazin
Carmen Schiltknecht Kolumne
KOLUMNE | Carmen Schiltknecht
ES IST SO...
Wenn wir eine bessere Welt haben wollen, sollten wir lernen, uns bewusst für Empathie zu entscheiden. Sie ist der Schlüssel für unser Zusammenleben und die ganze Welt.
M
it finsterer Miene schob der Verkäufer die neu erstandene Bluse zu der Dame an der Kasse und murrte sie an: «Ist das alles?» – «Darf ich bitte noch eine Tüte haben?», fragte
Wenn die Welt besser werden soll, dann braucht es eine Kul tur der Wertschätzung und der Gemeinschaft. Man könnte auch sagen, es geht um das Wir und nicht nur um das Indivi duum. Es wird also wichtig, dass wir den Austausch suchen und das Gespräch auf die wahren Themen des Lebens aus weiten. Die Entwurzelung der Gesellschaft und die zunehmen de Isolierung und Einsamkeit von Menschen in allen Alters klassen, die durch die heutige Lebensform gegenwärtig sind, lassen sich zumindest ein wenig besser machen, wenn wir uns unserer Werte bewusst werden und diese auch leben. Auf meiner Werteliste steht die Liebe ganz oben – auf Platz eins. Zuerst habe ich mich gefragt, ob sie überhaupt ein Wert ist, der gut genug und greifbar ist. «Es geht darum, dass wir uns in die Situation unseres Gegen übers hineinversetzen, statt in der eigenen kleingeistigen Schneekugel zu verharren.» Je mehr ich darüber nachdachte, erschien sie mir wie der Überbegriff für viele Werte. Ich bin überzeugt, dass wer mit liebenden Augen auf die Welt schaut, es schafft, das Ideal halbwegs zu leben. In unserer Gesellschaft ist Liebe nach wie vor ein sehr eng gefasster Begriff. Doch hat sie nicht eine Er weiterung verdient? Ist sie nicht mehr als Romantik und emo tionales Feuerwerk? Ich meine, sie ist vor allem eines: eine Haltung uns selbst und anderen gegenüber. Relevant für ein gutes Miteinander. Und es ist stets unsere Haltung, die unser Verhalten bestimmt.
die Kundin. Und die Laune des Blusenverkäufers wurde noch gereizter und er pfefferte die Tüte auf den Ladentisch, ohne die Dame eines Blickes zu würdigen. Eine Frechheit, wie ich fand. Ich war nahe dran, relevante Grundbegriffe wie «Der Kunde ist König», «Servicehaltung» und «falsche Berufswahl» an ihn zu richten. Ganz anders die Dame. Sie sah den Verkäufer aufmerksam an und fragte mit aufrichtigem Interesse: «Geht es Ihnen nicht so gut heute?» Der Verkäufer wurde erst steif, dann erhob er den Blick und sah sie sprachlos an. Nun wurden seine Augen feucht. «Nein, nicht so», erwiderte er. Die Dame nickte und er wähnte: «Das tut mir leid. Es gibt gute und weniger gute Tage. Ich wünsche Ihnen, dass morgen ein guter Tag für Sie wird.» Sie nahm ihre Tüte mit der Bluse, verabschiedete sich und verliess das Geschäft. Mitgefühl wirkt Wunder Auf der Fahrt nach Hause, musste ich mir eingestehen, dass mich die Dame etwas Wertvolles gelernt hat. Mir passiert es immer wieder, dass ich vergesse, mich in die Situation einer anderen Person hineinzuversetzen. Sei es bei einer Situation wie dieser, bei aktuellen Diskursen, politischen Diskussionen oder im Gespräch. Dabei geht es doch genau darum, dass wir uns bewusst entscheiden, uns auch in Positionen ausserhalb unserer eigenen zu versetzen. Auch deshalb, weil sinnvolles Leben in unterschiedlichen Formen möglich ist. «Liebe ist vor allem eines: Eine Haltung uns selbst und dem Aus sen gegenüber.» Wie man Empathie einsetzt, hat sie mir demonstriert: Statt das schlechte Benehmen des Verkäufers auf sich zu beziehen, hat sie mit Mitgefühl reagiert. Ihr Verhalten war einfühlsam und somit konnte die Situation effektiv ins Positive gedreht wer den. Wie klug es doch ist, sich nicht für den Nabel der Welt zu halten, sondern sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und Anteilnahme zu vermitteln. Das Besondere dabei ist, dass ein solcher Umgang nicht nur dem eigenen Seelenfrieden dient, sondern auch dem Gegenüber Wertschätzung vermittelt. Hilfreich, die eigenen Werte zu kennen
Carmen Schiltknecht, 65 ROCK DAS ALTER Coach & Mentorin Podcasterin & Speakerin
www.carmen-schiltknecht.com carmen@carmen-schiltknecht.com
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