StarkVital Nr. 33

Repor tage

Keine Kinder Wer kümmert sich um uns, wenn wir gebrechlich werden?

Alt werden ohne Familienangerige ist vor allem ein Phänomen, das Frauen betrifft. Männer können im Fragilisierungsprozess häufig auf die Unterstützung ihrer Partnerin zählen. Frauen dagegen über leben ihren Partner häufig, und wenn sie keine Kinder haben, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie im hohen Alter keine Familien angehörigen haben. Auf der Grundlage dieser Über legungen kann man davon aus gehen, dass der Staat in Zukunft zunehmend gefordert sein wird, eine ethische Aufgabe zu erfüllen, um das Fehlen von Familienange hörigen verstärkt auszugleichen. Dabei könnte er sich auf die Hilfe von Freiwilligen mit einer sozia len Berufung stützen. Denn der Begriff «Inklusion» umfasst auch Ältere und vor allem gebrechliche Senior:innen. Die Schwierigkeit wird darin beste hen, unabhängig von den getrof fenen Entscheidungen, die Würde des Alterns zu bewahren oder gegebenenfalls wiederzuerlangen.

Heben Sie die Hand, wenn Sie noch nie besorgt und ängstlich über Ihr Älterwerden nachgedacht haben. Wenn wir eines Tages aus irgendwel chen Gründen nicht mehr in der Lage sein sollten, uns selbst zu ver sorgen, wer wird sich dann um uns kümmern? Für diejenigen von uns ohne Kinder haben diese Fragen eine besondere Bedeutung. Die allgemein gestiegene Lebenserwartung ist eine recht neue Errun genschaft. Die Problematik der letzten Lebensphase, die trotz vorbeu gender Massnahmen durch körperlichen und geistigen Niedergang gekennzeichnet ist, hat sich nur zeitlich verschoben. Die Erfahrung zeigt, dass früher oder später die Rollen der Generatio nen sich umkehren. Schliesslich werden wir wahrscheinlich irgendwann auch nur für einen begrenzten Zeitraum von unseren Kindern abhängig, die einst so sehr von uns abhängig waren. Diesen Prozess konnten wir schon bei unseren eigenen Eltern und Grosseltern beobachten. Nach dem jüngsten massiven Eintritt von Frauen ins Berufsleben, haben die Betreuungskapazitäten der Familien abgenommen. Dieser soziale Wandel hat eine Debatte über die Rolle des Staates bei der Betreuung von Kindern wie auch von älteren Menschen ausgelöst. Was ist Aufgabe des Staates und was ist die Verantwortung der Familien? Obwohl das Gesundheitssystem zur Unterstützung der professionellen Pflege von betagten Menschen beiträgt, stützt sich die Realität in gewis sem Masse immer noch auf die informelle Hilfe durch Familienmitglieder. Wenn keine Kinder oder andere Familienmitglieder zur Verfügung ste hen, wer kümmert sich dann um die schutzbedürftigen älteren Men schen? Tatsache ist, die Zahl älterer Menschen ohne Kinder wird weiter steigen, denn der Trend hält noch an: in der Tat liegt die Fruchtbarkeits rate in der Schweiz seit einigen Jahren bei 1,39 Kindern pro Frau (2022 BFS, 1964: 2,7). Die grössere Anzahl kinderloser Frauen und Män ner ist nämlich ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Zahl der älteren Menschen ohne Familienangehörige in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. Denn Kinderlosigkeit ist ein massgebender Faktor für eine spätere Lebenssituation ohne Familienangehörige. Auch wenn man erwachsene Nachkommen hat, ist es keine Garantie, dass sie in der Nähe und bereit sind, uns zu helfen. Hinzu kommt der finanzielle Druck, der es vielen unmöglich macht, ihre Arbeit zu reduzie ren, um ihre Eltern zumindest teilweise tagsüber zu pflegen. Je weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, desto mehr sind ältere Menschen auf die Hilfe von Familienangehörigen angewiesen. Mit zunehmender Lebenserwartung können sich selbst zwei verschiedene Generationen gleichzeitig im Ruhestand befinden, das ist ein kürzlich entstandenes Szenario. Vielleicht sind sogar die Kinder nicht mehr bei guter Gesund heit, so dass sie ihren Eltern nicht mehr betreuen können. In der Schweiz werden mindestens acht Prozent aller Pensionierten ohne unterstützende Famili enangehörige alt. Das sind rund 100’000 Menschen.

«Inzwischen bleibt jede dritte Frau in der Schweiz bewusst oder wegen Unfruchtbarkeit kinder los, bei den gut ausgebil deten Frauen sind es zwei von drei. Wer sich für die Mutterschaft entscheidet, gebärt immer häufiger nur ein Kind.» (Beobachter)

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STARKVITAL 60+ Nr. 33

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