StarkVital No 40
Gesell schaft
Frauen bei den Olympischen Spielen Sport für Frauen ist nicht immer selbstverständlich gewesen
Bei den ersten Olympischen Spielen der Geschichte im Jahr 776 v. Chr. zu Ehren des obersten Gott der griechischen Religion Zeus im alten Grie chenland durften Frauen nicht an den Wettkämpfen teilneh men, sie waren nicht einmal als Zuschauerinnen zugelassen. Selbst in Athen 1896, bei der ersten modernen Olympiade, durften Frauen nicht mitma chen, weil Pierre De Couber
tin, bekannt als der Vater der modernen Olympischen Spiele, die klassische Tradition respektieren wollte. Es dauerte bis 1900, als Frauen zum ersten Mal zu den Olympischen Spielen, die in Paris stattfanden, offiziell zugelassen wurden. Neben den über 600 männlichen Teilnehmern durften 22 Athletinnen in den Disziplinen Tennis, Golf, Segeln und Krocket starten. Tennis und Golf waren die einzigen Disziplinen, in denen Frauen in reinen Frauenwettbewerben antreten konnten. Frauen nehmen endlich an der Leichtathletik teil Die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam waren die ersten, an denen auch Frauen in der Leichtathletik teilnehmen durften mit fünf Veranstaltungen auf dem Programm, dem 100-Meter-Lauf, der 4x100-Meter Staffel, dem Hochsprung, dem Diskus sowie dem 800-Meter-Lauf. Im Mittelpunkt der darauf folgenden Kontroverse im gleichen Jahr stand der 800-Meter-Lauf der Frauen. Er wurde als ganz besonderer Fall betrachtet wegen der Bedenken der damaligen Mediziner. Die Organisatoren, die Mitglieder des IOC und die Medien waren offen bar der Meinung, dass Frauen zu schwach seien, um an einem 800-Meter-Lauf teilzunehmen. Infolgedessen wurden in den Berichten über die Spiele von 1928 nicht nur die Ergebnisse dieses Rennens verfälscht, sondern in einigen Fällen sogar Tatsachen erfunden, um den eigenen Standpunkt gegen die Teilnahme von Frauen zu stützen. Die Pressevertreter entschieden sich dafür, das zu schreiben, was den Zwecken der von Männern domi nierten Verwaltung entsprach. Das tragische Ergebnis war, dass in den nächsten 32 Jahren der 800-Meter-Wettkampf für Frauen aus dem olympischen Programm gestrichen und erst 1960 wieder aufgenommen wurde. Eine vermeintlich unzumutbare Belastung «Zu Beginn, vor über 100 Jahren, waren die Vorstel lungen über Gesellschaft und Medizin ganz anders als heute» , erklärt der Brite Richard Budgett (65), medi zinischer und wissenschaftlicher Direktor des IOC bis Ende 2024, «das galt vor allem für das soziale Umfeld der aristokratischen Elite, die den Gentleman-Sport ausübte, bei dem die Frauen geschützt werden muss ten, weil sie, so die Meinung, empfindlich waren. Auch die Ärzteschaft irrte, sie glaubte, dass körper liche Betätigung für Frauen gefährlich sei und dass eine zu grosse Anstrengung ihrer Fortpflanzungsfunk tion schaden würde. Natürlich war Sport für alle da, und Baron de Coubertin selbst ermutigte die Frauen, ihn auszuüben, aber es gab diese Vorstellung, dass Wettkämpfe und intensive Anstrengungen nichts für Frauen seien... Was natürlich völlig falsch ist».
«Frauen sind widerstandsfähiger als Männer». Richard Budgett
Die Besorgnis über den Zusammenhang zwischen der reproduktiven Gesundheit von Frauen und ihrer Teilnahme an Hochleistungssportarten hielt bis ins zwanzigste Jahr hundert an. Man argumentierte, dass die nervliche Belas tung bei solchen Wettkämpfen enorm sei und viel Lebens energie verbrauche. Frauen seien weder körperlich noch geistig für Wettkämpfe geeignet (vor allem im Laufsport) und Männer könnten mit den Folgen von Spitzenwett kämpfen besser umgehen als Frauen. «Die gefälschten Fakten und die Ängste der Mediziner waren mit der angeblichen Gefahr von Langstreckenläufen für Frauen verbunden. Inzwischen haben wir erkannt, dass Frauen völlig gefahrlos an dieser Art von Wettkämpfen teilnehmen können», so Budgett, «heute wissen wir, dass Frauen wie Männer hart trainieren können, wenn sie sich richtig ernähren und erholen. Es gibt in keiner Sportart mehr irgendwelche Einschränkungen. Und heute haben wir fast die vollständige Parität erreicht. Es hat lange gedauert!» Selbst das Weissbuch Sport der Europäischen Kommis sion aus dem Jahr 2007 zitiert zu Beginn des Textes einen Satz von Pierre de Coubertin: «Der Sport ist Teil des Erbes eines jeden Mannes und einer jeden Frau, und sein Feh len kann niemals kompensiert werden». Erst 1984 in Los Angeles war das erste Mal, dass bei den modernen Olympischen Spielen ein Marathon für Frauen ausgetragen wurde. Und Budgett stellt abschliessend fest: «Wir wissen heute, dass Frauen eine grössere Ausdauer haben als Männer, insbesondere über sehr lange Stre cken. Sie sind nicht so stark, aber das hat nichts mit der Beurteilung zu tun, ob es angemessen oder gefährlich ist, eine Ausdauersportart auszuüben. Und das gilt auch für Kontaktsportarten! Früher haben Frauen kein Rugby gespielt. Und wie wir bei den Spielen 2016 in Rio gesehen haben, ist Frauen-Rugby fantastisch anzuschauen!» Die Olympischen Spiele 2012 in London waren die ersten, an denen Frauen in allen Disziplinen teilnahmen, denn damals wurde auch das Frauenboxen eingeführt. Die Gleichstellung der Geschlechter ist eng mit sozialer Gerechtigkeit verbunden und gehört zu den Kernzielen der
UN-Agenda 2030. Auch im Sport.
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STARKVITAL 60+ Nr. 40
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