Stark Vital Nr. 9

Edi torial

Gesundheitswesen Schweiz Bald «Drittweltstandard»?

Es ist bekannt, dass in der Schweiz die höchsten Arztlöhne Europas bezahlt werden. So arbeiten viele deutsche Ärzte in der Deutschschweiz, viele französische Ärzte in der Romandie und viele italienische Ärzte im Tessin. Ausgebildet wurden sie in ihren Ursprungsländern. Dort fehlen nun diese Kräfte, die übrigens von ihren jeweili gen Ländern auf Staatskosten ausgebildet wurden, und so holen sich wiederum die Deutschen, die Franzosen und die Italiener die fehlenden Ärzte aus anderen (ärmeren) Ländern. Ein ähnliches Phänomen tritt auch in der Pflege auf. Hunderttausende Krankenpfleger/innen und Kranken schwestern fehlen allein im deutschsprachigen Europa. Während meines Kurzurlaubes in Italien habe ich folgen de Plakatwerbung entdeckt...,

...die mit einem Basislohn von 2800 Euro * monatlich junge Menschen in Kliniken nach Deutschland locken soll, auch ohne Deutschkenntnisse. Diese könnten sie ja dann vor Ort erwerben. Sind ausländische Krankenpfleger/innen tatsächlich in der Lage, unserem Arbeitsrhythmus standzuhalten? Ich wurde letzthin an einem Wochenende ins Spital geschickt, um einen einfachen Labortest durchzuführen zu lassen. Im Labor traf ich einen netten Ausländer, der offenbar ganz allein an einem Samstag dort arbeitete und durchaus überfordert erschien. Er fragte mich nach meinem Namen, Geburtsdatum, nach sämtlichen Daten, die er vorher während des Telefongesprächs mit meinem Arzt auf eine Papierserviette niederschrieb. Er vergass zudem vor der Übergabe des Plastikbehälters für einen Urintest, meinen Namen auf die entsprechende Etikette zu vermerken. Seine etwas chaotische Vorgehensweise beeinflusste offensichtlich den zeitlichen Ablauf negativ und ganz sicher die Vertrauenswürdigkeit. War nun mein Test-Ereignis reiner Zufall? Was könnten hier nur für Verwechslungen passieren? Wo ist der bei uns geforderte Standard? Ähnliche Situationen werden wir immer öfter erleben. Trotz horrenden und weiter steigenden Prämien, risikiert unser überteuertes Gesundheitswesen zwangsläufig auf «Drittwelt-Niveau» zu sinken, auf Kosten von Effizienz, Korrektheit und professioneller Umsetzung. Vor allem aber auch, weil immer mehr Leute wegen jedem «Wehweh chen» gleich zum Arzt oder ins Spital rennen. Fleiss, Arbeitsfreude und Disziplin sind Werte, die der junge Mensch schon in der Familie und im entsprechen den Schul- und Ausbildungssystem erhält. Dies macht unser Land bis heute so leistungsfähig. Ihr

Jean-Pierre L. Schupp

Jean-Pierre Schupp

Zu * : 2800 Euro entsprechen knapp 3100 Franken. Ein Nettolohn in dieser Höhe ist im Kanton Tessin heute auch für Schweizer Arbeiter(innen) durchaus ein übliches Salär geworden – gleich in welcher Branche !

Jahrgang 1954

Lebenslauf und Kontaktaufnahme: siehe www.starkvital.ch

In italiano per i ticinesi, pagina 30, en français pour le romande page 30

STARKVITAL 60+, Nr. 9

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