Stark Vital Nr. 30

Gesellschaft

Gewalt in der Partnerschaft endet nicht mit dem Rentenalter Das Nationale Kompetenzzentrum Alter ohne Gewalt erinnert daran, dass Gewalt in Paar beziehungen auch vor älteren Menschen nicht Halt macht. Es gibt keine Altersgrenze.

Das Phänomen der häuslichen Gewalt gegen ältere Frauen ist immer noch wenig bekannt und macht vielen Frauen das tägliche Leben schwer. Da Miss brauchssituationen bei älteren Paaren meist im Ver borgenen geschehen, bleiben sie ein Tabuthema. Über Misshandlung in langjährigen Beziehungen, die mit dem geschlechtsspezifischen Verhältnis zusam menhängt, wird eben selten gesprochen. Unsichere ältere Frauen, die von ihren Ehemännern finanziell abhängig sind – das ist das übliche klischeehafte Szenario, um körperliche Übergriffe, psychischen Druck und finanzielle Erpressung auszuüben. Trotz

Überdruss werden, zum Beispiel wenn der Ehepartner krank ist und rund um die Uhr gepflegt werden muss. Ein Ehemann könnte seine an Demenz erkrankte Frau im Haus aus Vorsichtsgründen einschliessen, wenn er ausgeht, was eine Form der Einsperrung darstellt. Einerseits gehören die älteren Opfer einer Generation, die in einer Zeit gelebt hat, in der der Ehemann mög licherweise das letzte Wort hatte. Sie haben sich also an eine Rolle angepasst, die Passivität und Schweigen verlangte. Sie erkennen sich nicht unbedingt als Opfer und wollen aus Scham nicht über das Erlebte spre chen. Viele Frauen resignieren oder haben infolge der

dieses offensichtlichen Sachverhalts kann jedoch geschlechtsspe zifische Gewalt trans versal sein und in jedem Paar vorkommen, unge achtet von der sozialen Schicht. Eine Generation von Frauen hat gelernt, zu schweigen. Nach Angaben der Welt gesundheitsorganisation (WHO) sind in Westeu ropa etwa zwanzig Pro

Misshandlungen ein so geringes Selbstbewusst sein, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, Hilfe zu erhalten. Sie zeigen den Missbrauch nur selten bei der Poli zei an und wenden sich ebenso selten an die Sozialdienste, manch mal nicht wissend, dass es sie gibt. Es kann auch vorkommen, dass Sozi alarbeiter die Realität

zent der Frauen von irgendeiner Form von Beziehungs gewalt betroffen, also jede fünfte. In der Schweiz dürf ten die Zahlen insgesamt ähnlich hoch sein. Die Bevöl kerungsgruppe der über 65-Jährigen macht heute fast 19 Prozent der Schweizer Bevölkerung aus (Bundes amt für Statistik, 2020). Im Jahr 2021 waren die über 65-Jährigen 1,66 Millionen. Trotz dieser beachtlichen Zahlen fehlen ältere Menschen nach wie vor in den Studien zu diesem Thema und in den Präventionskam pagnen, in denen meist jüngere Paare im Mittelpunkt stehen. Unter den Opfern, die Missbräuche melden, sind die über 60-Jährigen effektiv in der Minderzahl, da sich diese Altersgruppe aus Scham nur selten Hilfe bei Gesundheits- oder Sozialdienste aufgrund von Gewaltsituationen aufsucht. Tatsächlich sind die (oft schwerwiegenderen) Fälle, die ans Licht kommen, sehr wenige und zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Ältere Menschen sollten die gleichen Chancen auf Hilfsangebote haben wie Die Gewaltdynamik ist Ausdruck einer Beziehung der Macht und der Zwangskontrolle, etwa wenn der Ehe mann seine Frau im Haus einsperrt, um sie zu kontrol lieren, und ihr die Bewegungsfreiheit entzieht. Manch mal sind die Ehegatten schon lange verheiratet, vierzig, fünfzig Jahre, die Missbräuche sind schon seit Beginn der Ehe vorhanden und haben sich im Alltag verfestigt. In anderen Fällen werden die zugrunde liegenden Miss handlungen durch den Übergang in den Ruhestand und damit durch das tägliche Zusammenleben oder durch das Auftreten gesundheitlicher Probleme ver schärft. Die Gewalt kann Ausdruck von Hilflosigkeit und die jüngere Bevölkerung. Die Dynamiken der Gewalt

verharmlosen, indem sie davon ausgehen, dass das Paar schon immer so gelebt hat und die Situation an sich erträglich ist, wenn die Ehefrau nie rebelliert hat. Nur ein äusserst geringer Prozentsatz von Menschen über 65 Jahre nutzen die Beratungen wegen Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft. Massnahmen dringend notwendig Die Problematik darf nicht länger ignoriert werden, es müssen Massnahmen ergriffen werden, um den Opfern zu helfen. Zu diesem Zweck arbeitet das Nati onale Kompetenzzentrum Alter ohne Gewalt an einem angewandten Forschungsprojekt mit, das vom Institut und der Fachhochschule für Gesundheit La Source (HES-SO) und dem senior-lab durchgeführt wird. Im Rahmen dieses Projekts wird spezifisches Informati onsmaterial entwickelt, das sich an Fachleute, ältere Menschen und ihre Angehörigen sowie an die breite Öffentlichkeit richtet. Das Projekt wird unter anderem vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), der Schweizerischen Kriminal prävention, dem Waadtländer Büro für die Gleichstel lung von Frau und Mann und von der Stiftung OAK unterstützt und soll im November 2023 in eine natio nale Sensibilisierungskampagne münden. Seit 2019 verfügt das Nationale Kompetenzzentrum Alter ohne Gewalt über eine dreisprachige nationale Anlaufstelle, die über die Telefonnummer 0848 00 13 13 oder über die E-Mail-Adresse info@alterohnegewalt.ch erreichbar ist. Sie bietet allen Betroffenen, Angehörigen, Dritten und Fachleuten in der ganzen Schweiz kosten los und vertraulich Gehör, Unterstützung und Beratung.

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