Stark Vital Nr. 25

Gesell schaft

Altersarmut, ein Tabuthema in der Schweiz

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Die durchschnittliche Lebensdauer verlängert sich all mählich: Die Schweiz weist eine der höchsten Lebenser wartungen der Welt auf. In den letzten 50 Jahren ist der Anteil Personen ab 65 Jahren an der Schweizer Bevöl kerung kontinuierlich gestiegen. 1970 lag der Anteil bei 11,5 Prozent, 2019 bereits bei 18,7 Prozent. Auch die Jahre im Ruhestand haben entsprechend zugenommen. Gegenwärtig geniesst der grösste Teil der Rentner:innen in der Schweiz dank sozialpolitischer Errungenschaf ten eine ausreichende materielle Sicherheit. Aber längst nicht alle Senior:innen leben im Wohlstand. Unerwartete Rechnungen für eine neue Brille, für hohe Heizkosten oder eine Behandlung beim Zahnarzt können für man che Rentner:innen eine unbezahlbare Belastung wer den. Neben einem wohlhabenden Teil der pensionierten Bevölkerung in der reichen Schweiz gehört parallel dazu Armut im Alter leider zum Alltag. Reicht das Einkom men nicht aus, um den Lebensbedarf zu decken, haben AHV-Rentenbeziehende Anspruch auf Ergänzungsleis tungen. Pensionär:innen, die zusätzlich zur AHV Ergän zungsleistungen beziehen, gelten z.B. nach Angaben vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), als arm. 2019 waren es fast 216’000 Empfänger:innen, was als Indikator von Armut im Alter zählt. Die Armutsforschung unterscheidet heute zwischen abso luter und relativer Armut. Von absoluter Armut betroffen sind Personen, die nur gerade über die für ihren Lebens erhalt absolut notwendigen Güter verfügen – Nahrung, Kleidung, Unterkunft und gesundheitliche Vorsorge – oder auf diese sogar verzichten müssen. Relative Armut betrifft Personen, die im Vergleich zu den Mitmenschen im eigenen Land ein eingeschränktes Leben führen müs sen und daher auch von einer Teilnahme am gesellschaft

lichen Leben ausgeschlossen sind, so François Felber von der Pro Senectute. Die Altersarmut in der Schweiz wird als relativ bezeichnet. Soziale Ungleichheit im Alter führt zur Ausgrenzung, die ältere Menschen erleben, weil sie sich den hierzulande üblichen Lebensstil nicht leisten können. Dieses Phänomen ist kaum sichtbar, da es sich zu einem grossen Teil im Verborgenen abspielt. Einkommensarmut nimmt im Alter zu Laut der sozialen Hilfsorganisation Caritas waren im Jahr 2020 insgesamt 1,3 Millionen Menschen in der Schweiz armutsgefährdet, hatten also ein deutlich tief eres Einkommen im Vergleich zum Gesamtbevölke rungsdurchschnitt (weniger als 60 Prozent des mittle ren Einkommens). Unter ihnen waren Familien mit drei und mehr Kindern überdurchschnittlich repräsentiert. Personen ab 65 Jahren stellen jedoch einen besonde ren Fall dar: Sie sind der Armutsgefährdung sehr stark ausgesetzt, vor allem, wenn sie alleine leben. Laut Bun desamt für Statistik (BFS) liegt die Armutsquote bei den Personen ab 65 Jahren mit 13,6 Prozent deutlich höher als bei den Personen im Erwerbsalter (5,8 Prozent). All gemein lässt sich sagen, dass je mehr in Erwerbsjahren in die berufliche Vorsorge einbezahlt wurde, desto bes ser ist die Einkommenssituation im Alter. Innerhalb der älteren Bevölkerung gibt es wiederum grosse Unterschiede. Personen, deren Einkommen primär aus Renten der 1. Säule besteht, inkl. Ergän zungsleistungen, sind besonders häufig einkommens arm (23,9 Prozent). Geringe Renteneinkommen werden vielfach durch finanzielle Reserven, wenn vorhanden, ergänzt. Besteht dagegen das Haushaltseinkommen hauptsächlich aus einer Rente der 2. Säule, sinkt die Armutsquote auf 0,7 Prozent.

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