Stark Vital Nr. 21

Gesell schaft

Gewalt gegen ältere Menschen

Die Misshandlung älterer Menschen, die sich ihrerseits in einem Zustand der Schwäche und Abhängigkeit befinden, ist eine schlummernde Tatsache in unserer Gesellschaft. Es wird geschätzt, dass nur einer von 24 Fällen von Misshandlung älterer Menschen gemeldet wird, so die Die Weltgesundheits organisation (WHO), was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Opfer oft Angst haben oder schlicht weg zu schwach sind, Fälle von Misshandlung anzuzeigen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine unterschätzte Zahl. Es gibt tat sächlich nur wenige Daten über das Ausmass des Problems. Was ist Misshandlung älterer Menschen? Die WHO hat folgende Definition formuliert: «Die Misshand lung älterer Menschen ist eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Fehlen geeigneter Massnahmen in einer Beziehung, in der ein Vertrauensverhältnis besteht, das einer älteren Person Schaden zufügt oder sie in Not bringt. Diese Art von Gewalt stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar und umfasst körperliche, sexuelle, psychologische und emotionale Misshandlung, finanziel len und materiellen Missbrauch, Vernachlässigung und schwerwiegenden Verlust von Würde und Respekt.» Gewalt in ihren verschiedenen Formen kann sowohl im priva ten Umfeld (Familie) als auch in öffentlichen Institutionen wie Krankenhäusern, Pflegeheimen und anderen Langzeitpfle geeinrichtungen ausgeübt werden. Zu den missbräuchlichen Handlungen gehören u. a. das Schlagen, die körperliche Fes selung von Patienten, der Entzug ihrer Würde (z. B. indem sie in schmutziger oder mit Urin durchnässter Kleidung zurück gelassen werden) und ihrer Entscheidungsfreiheit über ihre täglichen Angelegenheiten, die absichtliche Unterversorgung (z. B. die Entstehung von Druckgeschwüren), die Über- und Untermedikation und die Vorenthaltung von Medikamenten sowie emotionale Vernachlässigung und Missbrauch. Die Misshandlung kann zu körperlichen Verletzungen - von leichten Kratzern und Prellungen bis hin zu Knochenbrü chen und Behinderungen - und zu beträchtlichen, manch mal lang anhaltenden psychischen Folgen wie Depressionen und Angstzuständen führen. Die Folgen können besonders schwerwiegend sein und die Rekonvaleszenz länger dauern. Selbst relativ geringfügige Verletzungen können zu schweren und dauerhaften Schäden oder sogar zum Tod führen. Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie deuten neue Erkennt nisse darauf hin, dass die Prävalenz der Misshandlung älterer Menschen während dieser Zeit sogar zugenommen hat, so Claudia Mahler, unabhängige österreichische Expertin für die Wahrnehmung der Menschenrechte älterer Personen.

Prognosen für die Zukunft Weltweit wird die Zahl der Fälle von Misshandlung gegen ältere Menschen voraussichtlich zunehmen, da viele Länder eine rasch alternde Bevölkerung haben. Prognosen zufolge wird sich die Weltbevölkerung im Alter von 60 Jahren und älter bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln, von 900 Millionen im Jahr 2015 auf etwa 2 Milliarden, wobei die grosse Mehrheit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben wird. Wenn der Anteil älterer Menschen, Opfer von Misshandlungen, konstant bleibt, wird die Zahl der Betroffenen aufgrund der Bevölkerungsalterung rasch ansteigen und bis 2050 auf 320 Millionen anwachsen (WHO). Die nationale Plattform «Alter ohne Gewalt» Das Bewusstsein für dieses beunruhigendes Phänomen nimmt allerdings zu. Der Bundesrat hat sich in einem Bericht mit diesem Thema befasst, das als Problem der öffentlichen Gesundheit betrachtet wird. Die nationale Plattform «Alter ohne Gewalt» (www.alterohnegewalt.ch) fordert eine bessere Vorbeugung dieser besorgniserregenden Frage, die jahrelang im Verborgenen geblieben ist. Die Anlaufstelle ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen drei bedeutenden Instituti onen, die sich für die Prävention, Beratung und die rasche Unterstützung im Krisenfall eingerichtet haben: • «Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA» in der Deutschschweiz • «Pro Senectute Ticino e Moesano» im Tessin und im Misox • «alter ego» in der Westschweiz Impulsprogramm zur Prävention Um die Wirksamkeit der Tätigkeiten des Kompetenzzentrums weiter zu stärken, fordert «Alter ohne Gewalt» den Bundesrat und die Kantone eindringlich auf, das angedachte Impulspro gramm zur Prävention von Gewalt im Alter zu realisieren. Parallel zum Aufbau der fachlichen Strukturen sollen sich die Behörden gemeinsam mit weiteren Akteuren zu konkreten Aktivitäten und Projekten festlegen.

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STARKVITAL 60+ Nr. 21

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