Stark Vital Nr. 18

Zeit geist

Die Angst vor dem Älterwerden Lange leben, aber nicht alt sein Klar, "alt" sind immer die anderen. Dreissigjährige be zeichnen Fünfzigjährige als alt, für Fünfzigjährige sind Sechzigjährige alt, Sechzigjährige fühlen sich noch nicht alt und verschieben das Alter auf 70 Jahre. Nie mand will sich als alt betrachten. Das Alter ist irgend wie Tabu, für Frauen oft sogar ein gesellschaftliches Geheimnis. Laut Statistik nehmen dennoch ältere Menschen einen immer wichtigeren Teil der Bevölke rung ein. Für statistische Zwecke hat die UNO 65 Jahre als Grenzwert angenommen. "Man wird alt, wenn die Leute anfangen zu sagen, dass man jung aussieht." Karl Dall, deutscher Komiker (1941-2020 )

"Die Jahre zeichnen die Haut. Ideale aufgeben aber zeichnet die Seele." *

Das Alter kann Belastungen mit sich bringen im Zusammen hang mit dem bisherigen und dem bevorstehenden Leben, das sich dem Ende zuneigt. Dazu geht die Angst vor dem Altern Hand in Hand mit der Angst vor dem Tod. Doch, im Gegen satz zu heute, als Europa noch im Entwicklungsrückstand war, wurde die letzte Lebensphase als natürlicher Prozess angese hen, der mit einer gewissen Resignation und einem Gefühl der Unvermeidbarkeit angegangen wurde. "Jung ist, wer noch staunen und sich begeistern kann." * Die Forschung zur Lebensqualität älterer Menschen zeigt al lerdings ein anderes Bild als das gewöhnliche Stereotyp und widerspricht den düsteren Erwartungen. Von vielen Menschen über 65 wird eine gute Zufriedenheit berichtet. Sie führen meis tens ein aktives und anregendes Leben und geniessen dabei ihre neu gewonnene Freizeit. Die Kinder sind erwachsen und haben ein eigenes Leben. Der stressige Job ist Schnee von gestern. Und der jüngste Trend signalisiert, es ist immer noch möglich, freiwillig einer (Teilzeit-) Beschäftigung nachzugehen. Der heutige Kenntnisstand beweist, man kann den eigenen Körper sorgfältig pflegen und gezielt trainieren, die Spuren der Zeit mildern und dabei das Erscheinungsbild verbessern. Das dritte Alter kann eine aktive Lebensphase bleiben, während sich die damit verbundener Problematik oft in das vierte Alter verlagert. "Vorurteile, Zweifel, Befürchtungen und Hoffnungslosigkeit sind Feinde." * Im Alter erntet der Einzelne das, was er zuvor gesät hat. Er blickt zurück auf seine Vergangenheit, um Bilanz darüber zu ziehen, wie sehr es ihm gelungen ist, seine ursprünglichen Ziele zu erreichen. Wenn eine Person eine gute Basis für ihr Selbstwertgefühl im Laufe der Jahre aufgebaut hat, kann sie eine neue innere Ruhe geniessen. Dabei wird jedenfalls die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Lebens nach dem Tod immer drängender. "Ihr werdet jung bleiben, solange Ihr aufnahmebereit bleibt." * Wenn man ein gesundes Leben geführt hat, ist der Grundstein für eine angenehme Zukunft gelegt. Vielleicht macht man sich mehr Sorgen, seine Klarheit zu verlieren. Ein gewisser geistiger und körperlicher Verfall ist ein unvermeidbarer Teil des natür lichen Alterungsprozesses - jeder wird ihn irgendwann in ir gendeiner Weise durchlaufen. Doch, wenn wir an allen Fronten für uns selbst sorgen - Sport regelmässig treiben, Kraft trai nieren, richtig essen, Geld für den Ruhestand gespart haben, kontrollieren wir bereits, was wir können, um langfristig unsere beste Existenz zu leben und den psychophysischen Abbau zu verlangsamen oder ihn so lange wie möglich zu verschieben. Die Nostalgie für die vergangene Zeit hilft nicht, der Zukunft ins Auge zu sehen. Besser ist es, nach vorne zu schauen und gegebenenfalls eine "Erneuerung" umzusetzen, die Umgestal tung des Lebensstils und der Aktivitäten oder die Rhythmen des Lebens bewusst neu zu kalibrieren. Angenehme tägliche Gewohnheiten schaffen, häufig lachen, die Neugierde bewah ren und neue Eindrücke sammeln, offen bleiben für Neues und Unbekanntes. Und nicht zuletzt soziale Kompetenzen kultivie ren, die Nähe anderer Menschen suchen. Das alles kann man ja trainieren, darauf kann man sich freuen. DS * Mark Aurel (Marcus Aurelius), römischer Kaiser und Philosoph

Die Angst vor dem Altern ist eine der häufigsten Ängste, unter denen die Menschen leiden. Sie ist nicht nur eine weibliche Besonderheit, da sie den Mann ebenso wie die Frau betrifft. Unsere heutige jugendbesessene und leis tungsorientierte Kultur ver bindet generell mit dem Älter werden (Seneszenz) den Ver lust von Effizienz, Gesund heit, Attraktivität und sogar von Liebe und Respekt. Alt werden bedeutet auch Ruhe

stand, also keine aktive Rolle mehr in der Arbeitswelt, psycho physische Abnahme (degenerative Erkrankungen), den eige nen Tod oder den von nahen und lieben Menschen vor Augen. Hinzu kommt die Angst, unfähig zu werden, sein Leben alleine zu bewältigen und von anderen abhängig zu werden, eine Last zu sein oder allein zu bleiben. Es sind Befürchtungen an für sich gerechtfertigt. Wenn aber die Störung zwanghaft wird und wenn die Angst sich wendet und anhaltend, abnormal und irrational wird, handelt es sich um ein pathologischer Zustand. Man spricht dann von "Gerascophobie". Der Fachbegriff ist eine Kombination aus den griechischen Wörtern geras (Alter) und phobos (Angst). Menschen mit dieser Krankheit, die de pressiven Verstimmungen verursachen kann, sind grundlos und übermässig vom Altern besessen. "Die Jugend ist Ausdruck des Willens, der Vorstellungskraft und der Gefühlsintensität." * Die Reue für die vergangene Jugend ist nicht nur eine Frage der Moderne. In den Werken des griechischen Dichters Mim nermos, der im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte, war das Alter ein zentrales Thema, für das er Abneigung ausdrückte und von dem er nur die negativen Aspekte hervorhob. Im Mittelalter galt das Alter sogar als Verlust von Urteilsvermögen und Hem mungen, die ältere Menschen in die Kindheit zurückführen würden. "Die Jugend kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt, sondern eine Geisteshaltung." * Das Altern ist eine weitere Herausforderung, der man sich schliesslich stellen muss, will und hofft man, lange zu leben. Langlebigkeit ist eine ganz neue Errungenschaft des mensch lichen Fortschritts. Krankheiten, die früher ein vorzeitiges Le bensende verursachten, können jetzt behandelt und geheilt werden. Einst hatten die Menschen das Glück, lange genug zu leben, um ihre vierziger oder fünfziger Jahre zu erleben. Heute leben wir länger als je zuvor, insbesondere in westlichen Gesellschaften, dank verbesserter hygienischer Bedingungen, medizinischem Fortschritt und materiellem Wohlstand. Doch der moderne und (noch) aktive Mensch begegnet dem Alter mit Ambivalenz und ist in vielen Fällen nicht bereit, sich passiv hinzugeben.

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