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Carmen Schiltknecht Kolumne

KOLUMNE | Carmen Schiltknecht

ES IST SO...

D Was wäre, wenn wir uns entscheiden, den eigenen Möglichkeitsraum zu entdecken? Was wäre, wenn wir blockierende Gedanken ausklammern und heute, nicht erst morgen einen Neubeginn wagen? u kannst doch nicht nach so vielen selbstbestimmten Jahren mit deinem Partner zusammenziehen!», klingt es entrüstet. «Hast du denn vergessen, dass wir spä testens nach dem Erreichen unserer Lebensmitte an geht es wirklich?» Wenn ich nach Antworten suche, ergibt sich ein Freiraum, in dem ich eine existenzielle Energie wahrnehme.

Ein Ja zu mehr Leichtigkeit Wenn wir uns fokussieren auf das, wozu wir befähigt sind, näm lich unsere Werte zu leben, dankbar zu sein für all das, was wir überstanden, erfahren und gelernt haben, entsteht eine Leichtig keit. Selbst wenn wir nicht alles können, können wir sehr viel. Lachen, lieben, verzeihen und unseren Raum der Möglichkeiten bespielen. Auch ich habe darauf vertraut, dass meine dunklen Gedanken enden können. Nämlich dann, wenn ich entscheide, neues Vertrauen in meinen Partner, mich selbst und meine Werte zu setzen. Dann sage ich Ja zu mehr Leichtigkeit. Ein Ja, das auch vergangene Erfahrungen einbezieht und reflektiert, jedoch der Einsicht folgt, dass sich auch meine Muster und Einstellun gen wandeln können. Gemeinsam statt einsam Alles fliesst und ich fliesse mit. Es ist grossartig, nicht ewig am selben Platz zu kleben. Es ist befreiend, dem Ruf seiner Gefühle zu folgen und intuitiv einen anderen – neuen – Weg zu gehen. Leben folgt keiner bestimmten Logik. Es birgt immer ein gewisses Risiko. Und viele Chancen. Wir entscheiden, ob es bunt, über raschend und neu ist. Mit dem Schritt zu einer gemeinsamen Wohnung, einem gemeinsamen Leben habe ich genau das ge tan. Nie wissen wir, wohin der Weg im Detail führt. Doch ich bin erfüllt von Vertrauen, dass ich auf der Reise zur Freiheit in der Gemeinsamkeit nicht allein bin. Denn mein Partner ist nämlich auch da. Und die Liebe ist unser Wert, Vertrauen unser Boden. Und so machen wir uns gegenseitig Mut, lebendig zu leben.

Kompromissbereitschaft verlieren und das Leben am liebsten nach den eigenen Vorstellungen gestalten wollen?», fragt mich meine langjährige Freundin in schrillem Ton. «Das mag sein, doch angesichts der Endlichkeit des Lebens – und seiner Einzig artigkeit – habe ich mir Fragen gestellt und Antworten aus der Tiefe meiner Gefühle bekommen. Und genau diese Antworten er lauben mir, intuitiv und vertrauensvoll den Schritt in etwas Neues zu wagen», sage ich entspannt. Meine jetzige Lebensphase ist die spannendste überhaupt. Ich bin nicht mehr jung, aber auch nicht zu alt, um diese Zeit, die voller Chancen steckt, zu nutzen. «Das klingt, als würdest du Freiheit neu definieren», erwähnt Helena leicht verunsichert. Doch ich bin einfach überzeugt, dass ich alles habe, was ich brauche, um neue Möglichkeiten zu ent decken. Im Laufe der Jahre habe ich emotionalen Reichtum an gehäuft: Freude und Trauer. Liebe und Angst, Wut und Trotz. In jungen Jahren galt das Entweder-oder-Prinzip, heute dominiert das Sowohl-als-auch. Spielerische Haltung ist wichtig Wenn wir zu sehr auf Kampf und Sieg ausgerichtet sind, geht die spielerische Haltung verloren. Dann vergessen wir zu lachen und verlieren jede Art von Spontaneität. Ein gutes, erfülltes, sinnvol les und freies Leben ist nicht statisch. Es verläuft genauso wenig geradlinig immer nach oben, noch stagniert es ab einem gewis sen Punkt. Leben ist immer in Bewegung, wir sind mal glücklich, mal unglücklich. Und je reifer wir werden, desto mehr fordert es unsere aktive Beteiligung. Und wenn ich diese Überlegungen auf meinen – durchaus mutigen – Schritt des Zusammenziehens übertrage, weiss ich, dass Liebe eben nicht Länge mal Breite mal Höhe ist, sondern Liebe ist ein Wert. Bevor ich diesen Schritt vollziehen konnte, schien mein Leben zu stocken. Meine Gedanken durchliefen einen dunklen Tunnel und ich dachte in erster Linie an all das, was von nun an mein Dasein einschränken könnte. In ganz düsteren Momenten malte ich mir aus, wie ich in Abhängigkeit gerate, keinen Freiraum mehr habe, uns als Paar die Inspiration sowie die Begeisterung verloren gehen und wir bald nur noch übers Wetter und das abendliche Fernsehprogramm reden. Doch diese zermürbenden Gedanken waren wichtig. Wenn das Leben mitten im Wandel zu stocken scheint, fragt es mich: «Wie willst du leben? Welche Art von Person willst du sein, für dich und für den anderen? Wie wollen wir unser Leben gestalten? Worum

Carmen Schiltknecht, 65 ROCK DAS ALTER Coach & Mentorin Podcasterin & Speakerin

www.carmen-schiltknecht.com carmen@carmen-schiltknecht.com

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STARKVITAL 60+ Nr. 35

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