HEALTH TRIBUNE Nr. 3

Axel Gottlob

Dr. Gottlob Kolumne

Kinder- und Jugendmedizin leiden sogar zwei von 100 adipösen Kindern unter Gallensteinen und 7 bis 10 weisen eine nicht alkoholbedingte Fettleber krankheit auf! Übergewicht – also zu viel Körperfett – ist dabei nur die am deutlichsten sicht bare Folge einer ganzen Reihe proble matischer Veränderungen, denen sich Kinder und Jugendliche ausgesetzt sehen. Bereits bei Schuleintritt weisen 19% der Kinder Fehlhaltungen auf, bei Schul austritt sind es schliesslich 30%. Eine Haltungsschwäche muss sogar bei über 50% der 8- bis 18-Jährigen konstatiert werden. Über Wirbelsäulenschmerzen klagen schon 15% der 13-Jährigen und 40% der 19-Jährigen! Wenn sich diese wirbelsäulenrelevanten Probleme bei den Kindern weiterentwickeln und keine Änderungen in Sicht sind, wird unseren Kindern im Alter von 40 bis 50 Jahren die Rechnung präsentiert. Bei den be reits jetzt vorliegenden enormen Rü ckenproblemen in unserer Gesellschaft, muss dieser Trend doch alarmieren! Fehlstellungen der Kniegelenke oder Verschleisserscheinungen im Hüftge lenk bewirken Gelenkschmerzen und sind häufig die Vorboten einer späteren Arthrose. Wenn ein Kind und Jugend licher nicht mindestens 5 bis 10km be schwerdefrei gehen kann, müssen auch schon diese Punkte in Betracht gezogen und medizinisch abgeklärt werden. Welche Änderungen geschahen im Alltag der Kinder und Jugendlichen, die zu diesen neuen gesundheitlichen Problemen führten? Die zunehmende Inaktivität der heranwachsenden Gene ration steht hier ganz oben auf der Liste, zu dem sich ungünstigere Essgewohn heiten und ein ständig zunehmender Medienkonsum aber auch psychosoziale Faktoren hinzugesellen. Das Freizeitverhalten von Kindern hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Früher waren Spiel, Spass, Toben, Kicken, Entdecken, Verste cken, Laufen, Jagen, Klettern, Hangeln, Fangen, Raufen, usw. selbstverständ lich. Der neuen Generation sind jedoch natürliche Spiel- und Erlebnisräume grossenteils verloren gegangen. Auf der einen Seite stehen die räumlichen Veränderungen. So führten ein wach sendes Verkehrsaufkommen und eine zunehmende Wohnraumverdichtung zu einem reduzierten Freiflächenangebot für Kinder. Auch manche der früher frei zugänglichen Wiesen und Waldgebiete sind heute privatisiert und abgesperrt oder liegen weit weg von zu Hause.

Schliesslich ist die elterliche Sorge, Kinder im Freien auch weiter entfernt spielen zu lassen, grösser als früher. Gestiegene Kriminalität, Aggressivität und vermehrte Gefahren motivieren mehr zum Play in der Nachbarschaft. Die notwendige Ergänzung dieser so reduzierten Spielflächen könnte über reizadäquate, grosszügige Spielplätze gelingen. Jedoch sind in vielen Kom munen die Kinderspielplätze eher klein ausgelegt, equipmentmässig minimiert ausgerüstet, befinden sich teilweise in verwahrlostem Zustand oder werden aus Haftungsgründen gleich ganz ge schlossen. Neben diesen räumlichen Aspekten ist im Zeitalter von X-Box und Play-Stati on, DVD und Internet, einer 24 Stun den verfügbaren aggressiven Multichan nel-Fernsehberieselung, der Handy Hysterie und einer SMS-degradierten Kommunikation, körperliche Bewegung auch nicht mehr notwendig. Ja im Ge genteil! Sie scheint beinahe hinderlich zu sein. Der durchschnittliche Jugend liche verbringt täglich über 3 Stunden mit Fernsehen und Computerspielen und schon Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren sehen bereits täglich 90 Minuten fern. Dabei paart sich die körperliche Inaktivität ungünstigerweise auch noch mit einer hohen Stresshormonausschüt tung. So zeigten Pulsmessungen beim Computerspiel oder beim Betrachten eines Actionfilms, Werte wie bei einer körperlichen Höchstanstrengung. Der so auf Höchstanforderung vorbereitete Körper wird aber nicht gefordert – die Stresshormone nicht verstoffwechselt! Langfristig negative Konsequenzen für Organe und Gefässe sind zu erwarten. In der seit drei Jahrzehnten laufenden Hancox -Studie wurden die Daten der Kinder bis hin ins hohe Erwachsenen alter erhoben. Den besten Gesundheits zustand und den höchsten Bildungsab schluss erreichten die jungen Erwachse nen, die in ihrer Kindheit am wenigsten vor dem Fernseher gesessen hatten. Höherer Fernsehkonsum war assoziiert mit Übergewicht, niedriger kardio-re spiratorischer Fitness und Parametern des metabolischen Syndroms. Nun zeigen breit angelegte Untersu chungen, dass ein Viertel aller Schü ler maximal einen Tag pro Woche im Freien spielt, wobei dieses Verhalten von Klasse 1 bis Klasse 4 noch stetig abnimmt. Immerhin treiben 80% der Jungen und 60% der Mädchen mehrmals in der Woche Sport, aber ab dem 15. Lebensjahr führen mehr als die Hälfte der Jugendlichen höchstens noch einmal in der Woche oder sogar überhaupt

keinen Sport mehr durch. Natürlich müssen die Kinder, je nach Aktivitäts grad, in bewegungsverarmte, unsport liche, durchschnittliche, sportliche und sehr sportliche Kinder unterschieden werden. Diese Schere klafft zusehends immer weiter auseinander. Das heisst, es gibt durchaus einige sehr sportliche Kinder, bedingt durch ein förderndes El ternhaus, aber besonders die Gruppe der unsportlichen und bewegungsverarmten Kinder hat rasant zugenommen. Betrachtet man das Schulsportange bot, so zeigt sich folgendes Bild: In der Grundschule stehen meist noch 4 Schul sportstunden auf dem Stundenplan. Die Hälfte dieser Sportstunden wird jedoch von Nicht-Sportlehrern abgehalten, die meistens noch nicht mal als sport liche Lehrer bezeichnet werden können. Hierdurch kommt es immer wieder zum Einsatz ineffektiver oder gar belastender Übungen und Sportprogramme. In den weiterführenden Schulen werden von den vorgesehenen 3 Schulsportstunden pro Woche bundesdurchschnittlich le diglich 1,7 Schulstunden pro Woche un terrichtet. Zieht man hiervon Umzieh zeiten, Trinkpause und organisatorische Notwendigkeiten ab, so verbleiben ca. 45 Minuten Schulsport pro Woche. Anstehzeiten am Sportgerät sowie Auf- und Abbauphasen von Sportgeräten, Ballausgaben, etc. reduzieren schliess lich die pro Kind echt erlebte Sportzeit auf ca. 30 Minuten pro Woche, erlebt in 2 x 15 oder 1 x 30 Minuten! Natür lich besser als nichts, aber man ist ver sucht von einer reinen Alibi-Funktion zu sprechen. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die in Summe eine eher marginale kör perliche Betätigung erfahren, weisen eine geringe körperliche Fitness auf. Nach einer Studie Anfangs der 90er Jahre in den USA konnten ein Drittel aller männlichen und zwei Drittel aller weiblichen Jugendlichen keinen einzigen Klimmzug durchführen. Heutzutage sehen diese Werte noch schlechter aus. Insbesondere in den letzten 20 Jahren hat die körperliche Leistungsfähigkeit systematisch abgenommen. Gemäss einer Studie in Niedersachsen konnten 1976 zehnjährige Jungen in sechs Minuten noch durchschnittlich 1.024 Meter weit laufen. 1996 kamen sie in derselben Zeit nur noch 876 Meter weit! Das wissenschaftliche Institut der deutschen Ärzte WIAD konnte nach weisen, dass in den letzten 10 Jahren die Fitness der 10- bis 14-Jährigen noch mals um 20% nachgelassen hat. Selbst im Leistungssport äussern sich Bundes- und Landestrainer dahingehend, dass

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