FITNESS TRIBUNE Nr. 141 Archiv aus dem Jahr 2013
Sien ces
Bewegung und Belastung bei der Kniebeuge
Dr. Silvio Lorenzetti
Die klassische Krafttrainingsübung Kniebeuge kann hauptsächlich auf zwei verschiedene Arten ausgeführt werden. Neben der klassischen „freien Kniebeuge“ entscheidet man sich bei der sogenannten „eingeschränkten Kniebeuge“ dazu, die Vorwärtsbewegung der Knie einzuschränken. Dabei werden die Knie nicht über den Punkt des Zehenspitzenendes hinaus gebeugt. Um diese beiden Varianten der Kniebeuge sportwissenschaftlich zu differenzieren, haben wir anhand von 20 Probanden die Bewegungen und Bodenreaktionskräfte mit 0%, 25% und 50% Zusatzgewicht untersucht. So konnten die Bewegungsumfänge der Gelenke (ROM) und die Belastung in Knie- und Hüftgelenk bestimmt werden. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich konkrete Hinweise über die empfohlene Übungsvariante ableiten.
Die Kniebeuge, beliebt und vielseitig Die Kniebeuge ist primär eine Übung für die unteren Extremitäten, zur Extension von Knie und Hüfte. Neben Bankdrücken, Kreuzheben und anderen klassischen Übungen ist die Kniebeuge fester Bestandteil des Trainings mit freien Gewichten. Zudem ist sie eine der drei Disziplinen im Powerlifting. Die Wichtig keit der Kniebeuge spiegelt sich auch im Netz wieder: Eine Google-Bildersuche mit „Squat“ (Englisch für „Kniebeuge“) liefert ganze 22.9 Mio. Treffer. Eingesetzt wird die Übung im Fitness-Krafttraining und in der Rehabilita tion, und zwar sowohl bei Spitzenathleten als auch bei Senioren. In der Literatur existieren umfangreiche Publikationen, welche den Wert dieser klassischen Freigewichtsübung zur Leistungssteigerung im Sport, der Erhö hung der regulären Muskelkraft in den Bei nen und auch zum Erhalt der Selbständigkeit oder der Sturzsicherheit im Alter aufzeigen. Einfach in der Ausführung, problema tisch in der Belastung Allgemein betrachtet ist das Verletzungsri siko (Müller, 1999) im Fitnesscenter generell klein (Männer 2,5%, Frauen 1,6%). Wenn es dennoch zu einer Verletzung kommt, so geschieht dies hauptsächlich aufgrund einer Überbelastung (45,6%) und der falschen Ausführung einer Übung (21,1%). In diesem Zusammenhang wurde gerade die Knie beuge als eine Übung identifiziert, bei der das Verletzungs- und Beschwerderisiko im Ver gleich zu anderen Übungen erhöht ist. Dabei sind der Rücken und die Knie die beiden häu figsten Beschwerdelokalisationen. Nebst der Tiefe der Kniebeuge wird im Zusammenhang mit dem Verletzungsrisiko die Position der Knie beim Umkehrpunkt stark diskutiert. Eine Regel zur idealen Knie beuge besagt, dass die Knie nicht über den Punkt des Zehenspitzenendes hinaus gebeugt werden sollten. Dies geht meines Wissens auf eine Arbeit von Ariel (1974) mit drei Powerliftern als Probanden zurück. Obwohl dabei die grösste Scherkraft unmit telbar nach Beginn der Übung und die kleinste Scherkraft beim Umkehrpunkt beob achtet wurde, bestand die Kernaussage der Studie darin, dass die Vorwärtsbewegung des Knies über den Punkt des Zehenspitzen
eine Kraft oder aber ein Moment, das auf den Körper wirkt. Das Moment wird über die Kraft und den relevanten Hebelarm mit Hilfe der inversen Dynamik berechnet. Bei unserem Versuch absolvierten 20 Pro banden (m, w, 67 kg, 174 cm, erfahren im Krafttraining) freie und eingeschränkte Knie beugen und zwar jeweils ohne, und mit einer mit 25% resp. 50% Körpergewicht (KW) beladenen Langhantel, und in Serien zu acht Wiederholungen. Die Probanden hatten sich bei der Ausfüh rung an folgende Instruktionen zu halten: Zu Beginn wird eine aufrechte, schulterbreite Position eingenommen, bei der die Fuss spitzen leicht nach aussen zeigen (natürli che Fussdivergenz). Bei der Platzierung der Langhantel auf den Kapuzenmuskel und der bequemen Positionierung der Hände auf der Hantel ist das Brustbein zu einer natürlichen Wirbelsäulenhaltung anzuheben. Die Körper spannung wird in der Folge über die gesamte Übung hinweg aufrecht erhalten, wobei auf eine Ausatmung in der exzentrischen Phase geachtet wird. Alle acht Wiederholungen einer Serie Kniebeugen werden in gleichmä ssiger, normaler Geschwindigkeit ausgeführt. Während der Ausführung der Kniebeugen wurden die Bewegungen der Probanden über Hautmarker (Abb1 and Abb2) und die Bodenreaktionskraft mit Kraftmessplatten (Abb3) gemessen.
Dr. Silvio Lorenzetti (1974), experimenteller Physiker, Dr. phil.-nat. UniBe, Dr. sc. ETH Zürich, führt die Gruppe Sportbiomechanik der ETH Zürich. Er doziert Biomechanik im Rahmen des Studiums der Bewegungswissenschaften und Ingenieurwissenschaften auf Bachelor- und Masterlevel.
endes hinaus in möglicherweise verletzenden Scherkräften resultiere. Im Wissen um dieses Verletzungspotenzial bei der Kniebeuge gab die amerikanische National Strength and Conditioning Associ ation (NSCA) im Jahre 1991 die Empfehlung heraus, die Kniebeuge aus einer „normalen lordotischen Haltung“ heraus zu absolvieren. Das heisst, dass der Oberkörper aufrecht und das Schienbein gleichzeitig so senk recht wie möglich gehalten werden sollen. Eine Forderung, der bei der Ausführung einer Kniebeuge wohl per se nur schwer nach zukommen ist. Zum Versuch wurde nebst der freien Kniebeuge eine Variante getestet, bei der die Vorwärtsbewegung des Knies durch ein Brett eingeschränkt wurde (Fry et al., 2003). In der Folge verkleinerte sich die Belastung im Knie um 22%, die Belastung in der Hüfte und so indirekt im Rücken ver grösserte sich hingegen um mehr als Faktor 10. Damit war ein klarer Hinweis gegeben, dass sich über eine Einschränkung der Vor wärtsbewegung des Knies die Belastung des Rückens vergrössert. Welche Kniebeuge schont besser? Die Auswirkung der Bewegungseinschrän kung der Knie auf den Rücken ist seither noch nicht abschliessend erforscht und die Unsicherheit bezüglich der korrekten Aus führung einer Kniebeuge ist bis heute gross. Wir haben uns daher entschieden, die Bewe gung des Rückens und die Belastung auf den Körper beider freien und eingeschränkten Kniebeuge zu untersuchen. Dabei ist aus bio mechanischer Sicht eine Belastung entweder Seine Forschungsinteressen sind die Materialeigenschaften von Knochen, FE-/Ganzkörper-Modellierung und die Belastung und Bewegung des ganzen Körpers im Alltag und im Sport, insbesondere während des Krafttrainings. Er ist Mitglied des Expertengremiums Forschung des Bundesamtes für Sport (BASPO) und unterrichtet für die Star Education im Bereich Training mit freien Gewichten und Kabelzug. Als Powerlifter (SDFPF) und im American Football (WinterthurWarriors) war er Schweizermeister.
Abb. 1: Eigens konzipiertes Markerset, um die Bewe gung des Oberkörpers aufzuzeigen (List et al., 2012).
Abb 2: Messvorbereitung Bewegungsanalyse-Labor des Instituts für Biomechanik, ETH Zürich.
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