FITNESS TRIBUNE Nr 111 Archiv aus dem Jahr 2008
Interview
JPS : Der Euro ist stark, der Dollar schwach. Ich nehme an, dass momentan auch für Technogym der Konkurrenz kampf gross ist, und zwar nicht nur für amerikanische Produkte, sondern vor allem für Produkte aus dem noch Bil liglohnland China. Wie überzeugen Sie Ihre Kunden, trotzdem Technogym Pro dukte zu kaufen? HB : Natürlich befinden wir uns im B2B Segment inmitten einer Entscheidungs schlacht, und wenn sich Märkte konsoli dieren und Wachstum nur dadurch ent steht, entweder anderen ein Stück weg zunehmen oder in völlig neuen Märkten tätig zu werden, können natürlich keine „Gefangenen“ mehr gemacht werden. Die Dollarsituation ist darüber hinaus natürlich nicht hilfreich. Wie ich bereits sagte, werden wir uns mit anderen Unternehmen aus der Bran che nicht vergleichen, denn dann wür den wir ja nur gleicher werden, und ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Kunden das wollen. Nun, seit der Einführung unserer Selec tion Line und Excite Line kopieren sich inzwischen gegenseitig so viele, in der Hoffnung, damit nach vorne zu kom men. Inzwischen ist alles irgendwie silbern, rund oder elliptisch, mit brau nen oder Bordeaux farbigen Polstern. Alle haben TV und alle präsentieren im Sekundentakt neueste „Innovationen“. Andere wiederum bewerben in grossen Lettern, dass sie nun kommen würden, aber wirklich gesehen hat man sie noch nicht. Mir kommt das fast so vor wie das vielleicht bekannte Gillette-Syndrom. Nachdem Gillette in den 60er-Jahren die Rasur mit der Doppelklinge revolu tionierte, besteht die Produktinnovation hauptsächlich darin, möglichst noch eine Klinge hinzuzufügen. Aktuell sind es sechs – man darf also gespannt sein. Sicher, dies mag kleineren Unterneh men kurzfristig helfen vielleicht mittel mässig zu werden. Am Ende bleibt es doch immer nur der magere Versuch, die eigene Ideenlosigkeit zu kaschie ren. In gesättigten und müden Märk ten Produkte anzubieten, die sich von denen der Konkurrenz nur marginal unterscheiden, und dabei das wich tigste Element vermissen – wie helfe ich meinen Kunden wirklich – ist fatal. Um der Lage einigermassen Herr zu werden, versuchen einige mit sinnlosen Rabatten und abenteuerlichen Finan zierungsmodellen dies auszugleichen. Man macht Kunden immer noch glau ben, dass ein Handelsregisterauszug und eine Personalausweiskopie völlig
Zum anderen sehe ich meinen Job im Wesentlichen darin (sehr einfach aus gedrückt), im richtigen Augenblick das richtige Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern und vermeide dabei tunlichst, dass das Kaninchen so aussieht wie alle anderen im Markt. Und dann ist noch eines sehr wichtig, wie immer im Leben: Glück! JPS : Als Quereinsteiger ist es doch sicher gerade anfangs nicht einfach gewesen, sich in den Markt einzuarbeiten und an über Jahren etablierten Strukturen nicht zu scheitern? HB : Ja, da haben Sie Recht. 2001 hatte man mir so rund sechs Monate gege ben, weil ich ja nicht aus dieser Branche kam. Verstanden habe ich das sowieso nie, weil ich dies eher als Vorteil, denn als Nachteil sah. Naja, ich bin ja immer noch da, einige andere – glaube ich – haben den Markt inzwischen verlassen müssen oder han geln sich von einem Gerätehersteller zum nächsten. Ob das, abhängig von der Position, einen Markt weiterbringt, bezweifle ich stark. Ähnliches gilt für die Verbandsstruktur in Deutschland. Die Anzahl der Verbände, das gegenei nander Arbeiten und das Schaulaufen einiger Beteiligten bringt unseren Markt leider überhaupt nicht weiter, auch wenn man uns immer was anderes erzählt. Situationen wie „wenn du mit dem, dann darfst du nicht mit uns“ sind lei der Realität, und das hilft diesem Markt nicht, sich nach aussen professionell zu präsentieren. JPS : Sind Sie mit den Marktdaten, die seit einigen Jahren von unterschiedlichen Unternehmen wie z.B. Deloitte & Touche, DSSV, IHRSA, Emnid Studien präsentiert werden zufrieden? Helfen Sie Ihnen, den Markt besser zu verstehen bzw. Strate gien daraus abzuleiten? HB : Während unsere Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, dass Gras wächst, messen andere lediglich wie hoch es gewachsen ist. Die „Qualität“ dieser Zahlen bzw. des Grases hat sich in den letzten Jahren durchaus ver bessert, aber sie reicht natürlich nicht aus, um über eine Strategieanpassung nachzudenken. Wie leider so oft in die sem Markt, hat beinahe jeder etwas zu berichten, und dabei werden manchmal fragwürdige Annahmen getroffen oder es werden Tatsachen entweder ignoriert oder falsch interpretiert. Aber vielleicht haben Sie ja eine Antwort: Wie gross ist denn tatsächlich der Gerätemarkt? Was ist mit Ketten wie Miss Sporty, die in den Erhebungen noch gar nicht berück sichtigt werden? Welche Rolle spielen
Universitäten oder Vereine wirklich und wo wird die Grenze zwischen Fit ness Clubs und dem „Medical“ Bereich gezogen? Es gibt Jahresreports für viel Geld zu kaufen, da fehlen tatsächlich drei bis vier der wichtigsten Hersteller. Das ist doch, alles in allem, recht dilettantisch, und die Aufzählung liesse sich beliebig fortführen. Interessant erscheint mir beispielsweise die Frage: Wohin ist das Gras gewach sen? Wir haben in Zusammenarbeit mit einem Institut mathematisch errech nen lassen, was tatsächlich seit 1990 in Deutschland in Bezug auf Marktent wicklung, Mitgliedschaften, Austritts raten im Verhältnis zu Umzugsquoten und Altersstrukturen usw. passiert ist, und das Ergebnis ist deprimierend wie herausfordernd zugleich. Durch wiederholte Mitgliedschaften in Studios wurden so viele Mitglieder inzwischen „verbrannt“, dass es fast unmöglich erscheint, diese noch ein drittes oder viertes Mal für eine Stu diomitgliedschaft zu begeistern. Und wenn, dann nur für sehr kurze Zeit. Zwar sprechen alle darüber, dass die potenziellen Mitglieder der Zukunft immer älter werden, und dass dies ein Riesenmarkt sein wird, aber ver suchen Sie mal 40/45-Jährige für eine Mitgliedschaft zu gewinnen, und von den Akquisitionskosten wollen wir erst gar nicht reden. Um solche Mitglieder zu gewinnen, ist Umdenken gefragt, z.B. die Ansprache verändern und wen will ich überhaupt wie ansprechen. Da wir hier inzwischen über ausgefeilte Lösungen verfügen, könnten wir Club betreibern gerne helfen. Vorausgesetzt sie möchten es. JPS : Nun führen ja viele Wege nach Rom, und auch zum Erfolg. Wie es aus sieht, werden Sie auch in 2008 und in den folgenden Jahren den Umsatz bei Technogym in Deutschland steigern. Herr Blankenburg, wann wird Ihnen Deutschland zu klein sein, respektive, wann wird Sie der Besitzer von Tech nogym, Nerio Alessandri, nach Italien holen, damit Sie Technogym weltweit zur Nummer 1 führen? HB : Danke für die Blumen. Aber ich denke, da wo ich momentan bin, kann ich die Technogym Gruppe besser unterstützen und so dazu beitragen, die Nummer 1 weltweit zu werden, was ja unser erklärtes Ziel ist. Ins Headquarter nach Italien zu gehen, ist für mich keine Option. Das Team in der Gruppe ist grossartig und es würde mich wundern, wenn wir es nicht schaffen.
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