FITNESS TRIBUNE Nr. 104 - 2006

Ueli Schweizer Kolumne

Der Muskel hat keine Lobby!

Der Muskel wird in seiner Bedeutung für die Gesund heit, Leistungsfähigkeit, Schönheit und Psyche des Menschen weit unterschätzt, oder überhaupt nicht wahrgenommen. Die neusten Forschungsresultate zeigen jedoch seine überragende Stellung in der menschlichen Biologie.

Ueli Schweizer Jahrgang 1952

eidg. dipl. Turn- und Sportleh rer, Ausbildungsleiter an der Safs, Schule für Aerobics und Fitness in Zürich, Laktatexperte, international bekannter Referent und Seminarlei ter, Consultant bekannter Firmen, Ausbilder von Trainern. STRENFLEX Vize-Weltmeister 2004, Alterskategorie III (50 bis 59), Gewichtsklasse -80 kg. Träger des STRENFLEX Fitness Sportabzeichens SILBER.

Neuer Denkansatz Stellen wir uns vor, dass der Muskel das zentrale Organ des Menschen ist. Die Evolution und die neusten, wissen schaftlichen Erkenntnisse bestätigen das auf eindrückliche Art und Weise (siehe Spiegel Artikel “Bewegung ist alles. Die Heilkraft des Sports.“ Spiegel spezial, Nr. 4/2006 und “Laufen, Lie ben, Lesen. Das Fitnessprogramm fürs Gehirn.“ Der Spiegel Nr. 20, 15.5.06). Stellen wir uns also vor, dass der Mus kel das zentrale Organ des Menschen ist und alle anderen Organe und Organsy steme die Zulieferer und Infrastruktur systeme zum optimalen Funktionieren dieses Muskels bilden. Das Gehirn steuert, koordiniert, dosiert und synchronisiert die Muskeltätigkeit. Das sind die komplexesten Aufgaben die das Gehirn kennt – weit komplexer als die schwierigsten Denkaufgaben. Ist der Muskel nicht tätig und bewegen wir uns kaum, wird das Gehirn zu wenig gebraucht. Es bildet sich zurück. Die menschliche Biologie ist der Weltmei ster im Sparen, im Rationalisieren: was sie nicht braucht, wird schnell entsorgt. Bewegen wir uns viel, abwechslungs reich und immer wieder anders, ist das der grössten Reiz für das Gehirn sich zu entwickeln. Und zwar von der Geburt bis zum Tod. Neue, grössere und leistungsfähigere Synapsen werden gebildet. Sogar neue Hirnzellen entstehen. Diese neuen, durch die Bewegung entstandenen Gehirnstrukturen können auch für intellektuelle Aufgaben genutzt werden. Wir sind intelligenter. Früh Englisch auf Kosten der Turnstunden ist also kom pletter Blödsinn. Nochmehr Turnstun den, die in englischer Sprache gehalten würden, wäre die perfekte Lösung. Wel che Eltern, welche Lehrer, welche Politi ker setzen sich dafür ein?

Keine Lobby Der Muskel hat keine Lobby – nie manden, der seine Interessen vertritt, nicht einmal Fitnesstrainer und Aero bicinstruktorinnen. Werden an einem Fitness Kongress oder einer Aerobic Convention Ernährungsveranstal tungen angeboten, sind diese brechend voll, während bei Weiterbildungen über den Muskelstoffwechsel gähnende Leere herrscht! Obwohl wissenschaftliche Auswer tungen belegen, dass alle in den letzten 50 Jahren praktizierten Diäten zwar vorübergehend das Gewicht reduzierten, kam es jedoch sehr schnell wieder auf höherem Niveau zurück. Die langfristig, nachhaltige Lösung liegt eben nicht in Diäten, sondern in der Aktivierung des Muskelstoffwech sels. Die wissenschaftlichen Fakten und epidemiologische Studien belegen ein deutig: wer sich viel bewegt, ist in der Regel nicht dick. Die wenigen, die sich viel bewegen und dennoch dick sind, bleiben gesund. Gesünder als die durch Dauerdiäten permanent abgemagerten! Diese Zusammenhänge und die wahre Bedeutung des Muskels scheinen aber die Bewegungstrainer – und den Rest der Welt sowieso – nicht oder nur am In einem chinesischen Diabetespro gramm wurden Zuckerkranke (Diabetes Typ 2) in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Teilnehmer einer Gruppe bewegten sich viel und durften essen was sie wollten. Die Teilnehmer der anderen Gruppe mussten die Ernährung umstellen, bewegten sich aber nicht. Nach sechs Jahren war das Diabetesrisiko der Bewe gungsgruppe markant kleiner als das der Ernährungsgruppe. Rande zu interessieren. Der aktive Muskel

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